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Recep Tayyip Erdogan verbittet sich Einmischungen

Foto: AP/Ozbilici
EU hat neue Sorgen mit dem Türkei-Beitritt Foltervorwürfe und der neuerliche Versuch, Ehebruch unter Strafe zu stellen, lösen in der EU Sorge aus. Selbst wenn Ja zu Verhandlungen gesagt wird, wird eine Sonderform der Verhandlungen überlegt. Ankara verbat sich jede Einmischung in innere Angelegenheiten.

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Brüssel/Berlin - Zwei Wochen vor der Vorlage des Türkei-Berichts ist Hektik in der EU-Kommission ausgebrochen. Einerseits zeigt man sich besorgt über erneute Versuche der Türkei, Ehebruch unter Strafe zu stellen. Die türkische Opposition erklärte, der Gesetzesentwurf sei nicht vom Tisch - was die Kommission Freitag so kommentierte: "Das könnte die EU-Aussichten der Türkei verkomplizieren."

Zudem wurde Erweiterungskommissar Günter Verheugen bei seinem Türkei-Besuch von einer Menschenrechtsorganisation mit dem Vorwurf konfrontiert, dass in der Türkei noch systematisch gefoltert werde. "Wenn das stimmt, brauchen wir nicht mehr prüfen, ob die Türkei die Kriterien für Verhandlungen erfüllt", heißt es in Brüssel. Daher untersuchen Abgesandte der Kommission derzeit in der Türkei die Vorwürfe.

Verheugen selbst zeigte sich Freitagnachmittag von der Situation "beunruhigt". Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan verbat sich am Freitag die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei: "Niemand sollte versuchen, die Türkei zu erpressen. Wir regeln unsere Angelegenheiten selber. Niemand sollte der Türkei die EU betreffende Konditionen stellen."

Der Erweiterungskommissar legt seinen Bericht am 6. Oktober vor. Dann verabschiedet die Kommission eine Empfehlung, ob Verhandlungen begonnen werden sollen. EU-Agrarkommissar Franz Fischler plädiert dafür, bei einem Ja eine andere Form der Verhandlungen zu wählen: "Der Unterschied zwischen der Türkei und dem EU-Durchschnitt ist größer als bei jedem anderen Beitritt. Daher brauchen wir ein anderes Procedere und einen Plan B. Wir dürfen nicht blauäugig nur auf Beitritt verhandeln."

Wie dieser Plan B aussehen könnte, skizziert ein Diplomat so: Die EU könnte darauf drängen, dass die Türkei im Gegensatz zu allen anderen Beitrittswerbern schon während der Verhandlungen die EU-Verpflichtungen umsetzen muss. Spannend wäre das etwa im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit. Bei dieser Art der Verhandlungsführung würde man konkret sehen, ob die Türkei europareif ist.

Während man in Brüssel schon über die Art der Verhandlungen grübelt, hat in Deutschland CDU-Vorsitzende Angela Merkel mit ihrer Initiative gegen einen Türkei-Beitritt eine heftige Kontroverse in ihrer Partei ausgelöst. Ex-verteidigungsminister Volker Rühe und Merkels Exgeneralsekretär Ruprecht Polenz sprachen sich für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aus. Am vehementesten traten Wirtschaftsvertreter für eine Beitrittsperspektive der Türkei ein. Dies hätte positive Impulse für die deutsche und die europäische Wirtschaft, meinte der Chef des Bundes Deutscher Industrie, Michael Rogowski. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2004)