Das türkische Parlament vertagte in der Nacht auf Freitag die Reform des Strafgesetzbuches. Der Grund für diesen beispiellosen Abbruch bei der Verabschiedung eines wichtigen Reformwerkes ist das Chaos innerhalb der regierenden AKP im Streit um die Kriminalisierung von Ehebruch.

Ein Teil der AKP-Fraktion probte den Aufstand. Diese der islamischen Gemeinschaft "Milli-Görüs" angehörenden besonders religiös-konservative Strömung innerhalb der AKP bestand darauf, im Strafgesetzbuch einen neuen Paragrafen einzufügen. Ehebruch sollte nicht mehr wie ursprünglich geplant mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestrafen werden, dafür sollte nun "sexuelle Untreue" mit bis zu einem Jahr Haft oder wahlweise einer Geldstrafe geahndet werden. Diese Abgeordneten kommen alle aus der ehemaligen Tugend-Partei des Islamisten-Führers Ne¸cmettin Erbakan, bei der auch Tayyip Erdogan lange mitgemacht hatte.

Dem Aufstand der "Milli-Görüs"-Leute vorausgegangen waren zwei Treffen von Vertretern der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der AKP mit Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Die Religiösen, die ungefähr ein gutes Drittel der AKP Fraktion ausmachen dürften, bestanden darauf, dass der im Koran so nachhaltig verurteilte Ehebruch seinen Niederschlag im Strafgesetzbuch findet. Erdogan soll sie mit dem Satz unterstützt haben: Findet eine Formulierung, die für das Volk gut ist.

Jetzt herrscht völlige Unklarheit, wie es weitergehen soll. Die Opposition hat ausgeschlossen, dass sie einem Paragrafen der Ehebruch, Untreue oder Ähnliches unter Strafe stellt, zustimmen wird. Der moderate Teil der AKP will "Zina", das ist der Begriff des Korans für Untreue im weitesten Sinne, nicht zuletzt mit Blick auf die EU ebenfalls aus dem Strafgesetzbuch heraushalten. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2004)