Zugegeben, nicht mal die ganz hippen Retrofans trauen sich in karierten Hosen auf eine orange-braun gestreifte Cordgarnitur, die irgendwo zwischen Tapeten im All-over-Muster und grün-blauen Vorhängen zu finden ist. In den 70er-Jahren war das Standard. Heute sind Mustertapeten eher ein dekorativer Blickfang, der das Op-Art-Bild an der Wand ersetzt. Sie haben sich als Trend etabliert und sind in Fernsehserien ebenso zu finden wie in Allerweltsbuden.
Auf der Mailänder Möbelmesse war gar von einer "Renaissance des Ornaments" die Rede. Nicht nur an der Wand, sondern auch auf Möbeln von Designpäpsten wie Philippe Starck, die bis vor kurzem die einfarbigen Flächen feierten. Noch gibt es die Retrorollen nicht überall zu kaufen. Sollte man in Secondhandshops oder bei Webanbietern wie Ebay nicht fündig werden, kann man sein gemustertes Glück bei Nischenlieferanten wie "Berlintapete" suchen. "Wallpaper on demand" heißt die Geschäftsidee der Firma. Sie bannt für den Auftraggeber alles auf das Spezialpapier, was er möchte - die Tapete aus seiner Kindheit und sogar Entwürfe eigener Ideen.
(Florales von "Walltattoo")

Foto: Hersteller

Auch vor der in den Siebzigern so populären Fototapete schrecken die Berliner nicht zurück. Was nach Kartoffeldruck klingt, sieht aus wie eine richtige Tapetenrolle mit entsprechender Oberflächenbeschaffenheit. Eine Auswahl an ausgefallenen Mustern macht das Angebot von Berlintapete komplett. Hinter dem Label "Extratapete" verbirgt sich eine Kollektion mit über zwanzig ornamentalen Wandverzierungen. Außerdem kann man auch Sonderanfertigungen in kleinen Stückzahlen in Auftrag geben. Der Kundenkontakt entsteht meist über das Internet. Damit die Farben originalgetreu begutachtet werden können, versendet "Extratapete" einzelne Proben per Post. Die Varianten aus dem Musterbuch reichen von bunt gestreift bis streng geometrisch. Benannt sind die Tapeten - wie die Hochs und Tiefs im Wetterbericht - mit weiblichen und männlichen Vornamen von "Luise" bis "Henry".
("Marburg Tapete")

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Vor mehr als 30 Jahren gehörte "Marburg Tapete" zu den Vorreitern der Geometrie-Welle für die Wand. In den Archiven der hessischen Firma befinden sich noch ganze Originalrollen aus der Zeit der gelb-orangen Sonnenräder. Nun wurden die wilden Siebziger moderat interpretiert. "Mydate@marburg.com." heißt die neue Tapetenkollektion, die sich sich auf wenige markante Motive wie Quadrate, Ellipsen, Rauten oder Zickzackmuster konzentriert. Die Farben sind leiser geworden, verwendet wurden vor allem warme Töne wie Rot, Pink und Lila oder ein kontrastreiches Schwarz-Weiß. Damit wolle man vor allem dem eigenen Stil eine neue Richtung geben, sagt ein Firmensprecher der Tapetenfabrik.
Wer die Ornamente noch dichter an der Wand haben möchte, verzichtet ganz auf die Papierschicht dazwischen. Sozusagen hautnah bringen die Wiener Barbara Vörös und Andreas Reichl von "Walltattoo" ihre Motive auf die Fläche.

Foto: Hersteller

Zusammen mit dem Kunden spüren sie Themenwelten auf und lassen den zu gestaltenden Raum auf sich wirken. Beim zweiten Treffen soll eine Fotomontage verdeutlichen, wie das Zimmer mit der Bemalung wirkt. Steht das Motiv fest, wird es mit dem Pinsel direkt auf die Wand gebracht. Warum wuchert mächtiger Philodendron an den Wänden einer Linzer Tiefgarage? Und warum verleiht ein riesiger gelbgrüner Schmetterling einer Küche Flügel? Klar, weil der Auftraggeber es so möchte. Noch individueller geht es kaum, denn die Wandbemalung macht auch Gestaltungen über Eck möglich, bei denen es mit einer Tapete technische Probleme geben könnte.
Retrotapeten lösen kontroverse Gefühle aus, wie man sie auch dreht und wendet. Was zur Wiederkehr eines Albtraums für die einen wird, ist eine nicht endende Revival-Party für die anderen. Wartet nur ab, bis sich die Emotionen gelegt haben und die Wände wieder Ruhe geben, denn die (DerStandard/rondo/Heike Edelmann/17/09/04)
(Schmetterling von "Walltattoo")

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