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Udo 92

Foto: APA / Robert Jäger
Das Musical "Udo 77" im Wiener Rabenhof-Theater fördert nicht nur die Wiederbegegnung mit der Gestalt Udo Proksch, sondern speist die anstößige Faszination durch eine rätselhafte Blufferfigur. Ein wunderbarer Off-Abend der Gruppe monochrom.


Wien - Durch das Wirken des hauptberuflichen Hofzuckerbäckers Udo Proksch (1934–2001) hat die heimische Nachkriegsgesellschaft wertvolle Aufschlüsse über sich selbst gewonnen. Sie bekam ihre drängendsten Defizite von einem Aufsteiger mit hohem kriminellem Potenzial lehrbuchhaft vorgeführt. Proksch tänzelte, ehe er eine Uranmühle im Indischen Ozean versenkte, wie ein Schwindel erregender Cagliostro auf dem faulen Tau falscher, kleinbürgerlicher Verabredungen. Er stieß mit seinen Fantastereien die Wohlanständigen mit kalkulierter Geste vor den Kopf.

Dadurch erregte er auch bei unverdächtigen Menschen eine gewisse Faszination: Als Produkt des hemmungslos verwirklichten Selfmade-Gedankens, der in der Form ungezählter Ich-AGs heute auf die Leistungsgesellschaft überschwappt, suchte er das Establishment. Dessen rührigste Vertreter hätten vielleicht besser am Zustande kommen einer demokratischen Öffentlichkeitskultur mitgewirkt, als sich mauschelnd im "Club 45" miteinander zu verlustieren.

Wird, wie jetzt im Rabenhof-Theater, über Proksch gesungen, so übersteigt das kluge Konzept des Musicals "Udo 77" alle rein sittlichen Bedenken. In das Wirken der "Bastelneigungsgruppe" monochrom, einem Kunstkollektiv mit tadellos dilettantischem Darstellungsdrang, fließt etwas von der atemlosen Unrast ein, die Proksch angetrieben und wohl auch ins Straucheln gebracht hat.

Virtuelles Comeback

Sein Comeback als Bühnenheld findet im Wege einer computergetriebenen Simulationsübung statt. "Proksch" ist ein Systemdummy – eine beliebige Spielfigur in einem Kreditwürdigungsprogramm der ehrenwerten "Weinviertler Gewerbebank". Hollabrunner Filialbeamte in mausfarbenen Stangenanzügen setzen die Rekapitulation der schwarzen Prokschen Heldenvita per Mausklick in Gang. Es trällern personifizierte "Programme" – die Bits und Bytes dieses nekrologischen Singspiels sind Laborangestellte mit den hörbar genossenen Weihen einer fundierten Musicalausbildung.

Das Sängerquartett aber, das sich gut eineinhalb Stunden lang dem Minimalismus von Kraftwerk annähert, das Van Halens "Jump!" zitiert und die Sacharinprodukte des Klausnitzer-Imperiums verhöhnt, glaubt an das Wunder seiner eigenen Fiktion: Das maßlose Leben des Udo P. nötigt zu Verrenkungen: "Er war wie Slade, er war wie Sweet / Er wusste, wie man Leute zieht, / Er war gut – in einem außermoralischen Sinn." Wer derart seligen Schwachsinn via hemmungslosen Ausdrucksgesang zu Gehör bringt, erhascht ganz ohne Anstrengung die Feldherrenmantelzipfel eines Salon-Napoleons.

Gepriesen seien also die Stimmen von Sonja Romei, Anna Behne, Lukas Sartori und Christian Strasser, die Regie von Johannes Grenzfurthner, die musikalischen Beiträger, die unter der Anleitung von Harald Homolka-List und Günther Friesinger aufspielen – auf diesem inspirierten Plünderzug durch die Stile erfährt ein totes Genre (Musical) seine Einverleibung in die krisensichere FM4-Kultur.

Schauer der Ergriffenheit jagt einem das Wiederauftauchen einer untoten Proksch- Stimme (Robert Stachel) über den Rücken. Udo, der Netzgeist, lädt Systeme erotisch auf und bringt das Weinviertler Bankhaus zum Kollabieren. Der Geist aus der Röhre infiziert als "trojanisches Programm" die grundanständigen Leut'. Seine Begierde speist – das Leiden an Österreich. Wunderbarer Abend. (DER STANDARD, Printausgabe vom 17.9.2004)