The Concretes
The Concretes
(EMI)

Foto: EMI
Mitunter scheppert das Ganze, als hätten sich Velvet Underground nicht in schwarze Existenzialistenmontur, sondern in die Bühnenkostüme einer Travestieshow geworfen - wenn diese den im Genre obligaten Programmpunkt Diana Ross & The Supremes absolviert und zum von Phil Spector produzierten Wall of Sound von You Can't Hurry Love im Vollplayback die Lippen bewegt. You Can't Hurry Love , eine gleichnamige Eigenkomposition, findet sich übrigens auch gleich als Song Nummer zwei auf dem Debütalbum der achtköpfigen Band aus Stockholm. Das fünfte Lied titelt: Diana Ross . Referenzhölle, Baby!

Weil aber oft gern alles anders als erwartet kommt, gibt Sängerin Victoria Bergsman zu entsprechend forsch vorgetragener und mit tüchtig verhallten Handclapping-Chören zusätzlich Richtung fortissimo getriebener Begleitmusik im Zeichen des kindlich-naiven Sixties-Soul an diversem analogen Equipment nicht etwa eine wahlweise am Leben verzweifelnde, beziehungsweise davon und / oder schwer begeisterte Pop-Elevin.

Dafür klingt ihr gleichmütiger bis gänzlich emotionsloser, in der Schule der großen schwedischen Gefühlsverweigerer Abba oder The Cardigans stehender Gesangsstil auch viel zu flach und unaufgeregt und auf jeden Fall entschieden gelangweilt so, als ob die gute Frau gleich ins Bett gehen wollte. Und zwar zum Schlafen ohne Begleitung - sei es ein Buch oder auch nur ein Mann. Schon seit 1995 im Geschäft und erst jetzt mit den höheren Weihen eines international vermarkteten Studioalbums bedacht, legt es Bergsman mit ihren beiden Kolleginnen Maria Eriksson und Lisa Milberg und heuer gerade zufällig anwesenden fünf männlichen Freunden viel eher auf eines an.

Wenn laut Karl Valentin tatsächlich alles auf dieser Welt schon einmal gesagt worden sein sollte, allerdings eben noch nicht von allen, dann haben wir es beim Album der Concretes mit einer weiteren der unzähligen Versuchsanordnungen zu tun, in der nachgeborene Generationen dem übermächtigen Vorbild der alten Großen des Pop mittels der Kunst der nachbereitenden Distanzierung nahe kommen wollen. Distanz und Nähe und deren brüchiges postironisches Verhältnis - zu wahrhaftiger Ironie sind heute längst alle viel zu gescheit -, das sind die Kernpunkte dieser kurz vor dem Wegnicken retrospektiven Kunst. Früher war alles besser: Über solche Sätze kann der junge Mensch seit gut 2000 Jahren nur eines, er kann darüber nur herzhaft lachen.

Dass die Concretes ein großes Herz haben, zeigt sich beim Matrosen-Shantie Warm Night. Zu Walzertakt, Mandolinen aus dem Synthesizer, gebrochenem Altmädchen-Gesang und Lalala-Chören von Gästen wie dem großen schwedischen Van Morrison-Verehrer Nicolai Dunger kommen tatsächlich wahre Gefühle aus zweiter Hand auf. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2004)