Berlin - Der Erweiterungskommissar der EU, Günter Verheugen, hält einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union (EU) vor dem Jahr 2015 für ausgeschlossen. Verheugen sprach sich in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag grundsätzlich jedoch für Verhandlungen mit der Regierung in Ankara aus. "Eine schlichte Vertagung der Entscheidung zur Aufnahme von Verhandlungen wäre fatal, weil die Folge - die Enttäuschung in der Türkei - katastrophal wäre."

"Kritische MAsse an Reformen"

Zwar sei die Lage in der Türkei noch nicht perfekt, aber er sehe nach seinem Besuch dort "genügend kritische Masse an Reformen, um jetzt eine Entscheidung zu treffen", fügte er hinzu. Verheugen hatte in dieser Woche die Lage im EU-Kandidatenland sondiert.

Der künftige EU-Industriekommissar Verheugen will seinen Bericht über die Reformbemühungen in der Türkei und seine mögliche Empfehlung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen am 6. Oktober in Brüssel vorlegen. In dem Interview ließ Verheugen jedoch offen, wie sein Votum ausfallen wird. "Ich ziehe meine Schlüsse erst, wenn ich alle Fakten auf dem Tisch habe: den Bericht, meine eigenen Eindrücke - aber auch ein Bild vom Stand der Debatte in der EU-Kommission und bei den Regierungen der Mitgliedsländer", sagte er. "Noch habe ich mich nicht festgelegt."

"Zu großes Risiko für Europa"

Erst am Freitag hatten der Finanzminister Karl-Heinz Grasser und EU-Agrarkommissar Franz Fischler Ankara die Eignung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen abgesprochen. Grasser sagte am Rande des Ecofin-Treffens im niederländischen Scheveningen, die Türkei stelle ein "zu großes Risiko für Europa" dar, deshalb sei die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen "der falsche Weg". Nur habe in der aktuellen Debatte offenbar niemand den Mut, dies auch offen zu sagen, fügte er vor Journalisten hinzu.

Fischler wurde am Freitag von der "Financial Times" mit ähnlichen, früheren Argumenten zitiert. Er äußerte die Ansicht, die Türkei sei kulturell "orientalisch" und von der Geographie her gehöre sie zu Asien. Eine Hereinnahme der Türkei würde den EU-Agrarhaushalt aufblähen und eine "geostrategische Büchse der Pandora" öffnen, warnte Fischler. (APA/Reuters)