Wien - Holly Catania sieht Parallelen in der Geschichte: "Etwas am heutigen Umgang mit Drogenkranken erinnert mich an den Umgang von nationalsozialistischen Psychiatern mit ihren Patienten. Mancherorts wird mit einer Brutalität gegen Drogenkranke vorgegangen, die an die Diskriminierung von ,unwertem Leben' erinnert."

Etwa im "Fall Kim". Die 28-Jährige aus dem US-Bundesstaat Virginia hätte elf Jahre lang Opiate gespritzt und darüber ihren Mann, die Obsorge für ihre Tochter und sämtliche Jobs verloren. Sie wurde schließlich für Drogenbesitz erwischt - was für sie ausschlaggebend gewesen sei, sich in eine Methadon-Ersatztherapie zu begeben. Zwar hatte sie bald wieder Arbeit, jedoch musste sie noch die alte Strafe ausbaden: Wegen Drogenbesitzes wurde sie zu einer Haftstrafe verurteilt. Und da in US-Haftanstalten keine Drogen-Ersatztherapien erlaubt seien, musste die Süchtige ihre Therapie abbrechen: Besserung also ausgeschlossen, berichtet die US-Drogenexpertin.

"Die Law-and-Order-Politik hat zur Folge, dass die Häftlinge sich im Gefängnis Drogen beschaffen, Nadeln teilen, sich mit HIV infizieren oder überdosieren", sagte Catania. Im Rahmen eines Forschungsprojekts des New Yorker Beth Medical Center hat die Medizinerin Gefängnisse weltweit besucht. Sie präsentierte ihre Erkenntnisse zu Drogenersatztherapien in Haftanstalten Donnerstag beim Kongress "Ethnicity and Addiction" in Wien. Fazit: Europa ist fortschrittlicher.

Drogenersatztherapien mit Methadon, Morphium oder Detox sei in den Haftanstalten von "nur 22 Ländern" erlaubt, "obwohl internationale Studien zeigen, dass dadurch weniger gespritzt, die Verabreichung kontrolliert und daher auch die Zahl geteilter Nadeln reduziert wird". Catania lobte hingegen die fortschrittliche Handhabe in Österreich - besonders in der Justizhaftanstalt Krems-Stein, die jüngst aufgrund von Todesfällen unter Häftlingen negativ in den Schlagzeilen präsent war.

Traumatisierung

Etwa 300 der derzeit über 800 Häftlinge in Stein seien süchtig. Innerhalb eines Programms bekämen "alle einen Drogenersatz ihrer Wahl". "Es gibt für diese Abteilung drei Psychiater mit Fachgebieten von Drogen bis Alkohol", bestätigte die Psychiaterin Gabriele Fischer von der Medizinuni Wien dem STANDARD. Das Programm laufe seit 1996.

Kinderpsychiater Max Friedrich hingegen kam auf den Zusammenhang zwischen Sucht und Traumatisierung zu sprechen, wobei er betonte: "Die Vulnerabilität für Sucht ist bei Menschen, die durch Migration entwurzelt wurden, vergleichsweise hoch." Was sein Kollege Alexander Friedmann vom Wiener AKH bestätigte. Friedmann betreut im Verein Esra aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderte Juden. Seine Arbeit lässt ihn zum Schluss kommen: "Drogenmissbrauch ist ein pathologischer Weg, um mit Heimatlosigkeit zurechtzukommen. Bei Migranten hat er sozio-kulturelle Gründe." Die Kinder von Juden etwa, die nach Österreich kamen, weil sie sich in Israel nicht assimilieren konnten, "tragen zwei Emigrationen auf ihrem Rücken". Im Vergleich zu Migranten, die nur einmal die Heimat gewechselt hatten, sei die Suchtanfälligkeit höher. (east/DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2004)