Der Präsident und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte nahm es in seiner aktiven Militärzeit mit Anordnungen offenbar nicht immer so genau: Jüngst aufgetauchte Dokumente zur Dienstzeit von George W. Bush während des Vietnamkrieges scheinen zu beweisen, dass er den ausdrücklichen Befehlen seines kommandierenden Offiziers der Texas National Guard, Oberstleutnant Jerry Killian, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, nicht nachgekommen ist.

Aufzeichnungen von Killian aus den 70er-Jahren zeigen zudem, dass Bush seine Flugberechtigung für Kampfflugzeuge anscheinend auch deshalb verloren hat, weil er die nötigen Qualifikationsstandards nicht erfüllt hat. Bisher hatte es immer geheißen, er habe seinen Pilotenschein nur wegen des versäumten Medizin-Checks eingebüßt.

Der 1984 verstorbene Killian hatte 1972 in einer Aktennotiz mit dem Titel "CYA" (Cover Your Ass) zur eigenen Rückversicherung festgehalten, er sei von seinem eigenen Vorgesetzten unter Druck gesetzt worden, die Bewertungen des jungen Bush zu "verzuckern". Das Versäumnis, alle Pflichten in der Nationalgarde zu erfüllen, hätte laut Gesetz in einer direkten und sofortigen Versetzung zum aktiven Militärdienst in Vietnam resultieren können.

Ein Gefallen für Bush

Mittwochabend erklärte der ehemalige Vizegouverneur von Texas, Ben Barnes, auf dem CBS-Nachrichtenmagazin "60 Minutes" zudem, er habe zu Beginn seiner politischen Karriere in Texas seinen Einfluss verwendet, um George W. Bush vor Hunderten anderen Bewerbern in die texanische Nationalgarde zu bringen, um dem aktiven Wehrdienst in Vietnam zu entgehen.

Ein Freund der Familie Bush – Vater George Herbert Walker war damals Kongressabgeordneter – habe ihn persönlich um diesen Gefallen gebeten, den er als ambitionierter junger Politiker auch gerne ausgeführt habe. Heute allerdings sei er keineswegs stolz auf seine Rolle während des Vietnamkrieges.

Neue Vorwürfe werden auch in einem Artikel des Boston Globe erhoben: Bush habe während der fraglichen Zeit monatelang seinen Dienst in der Nationalgarde vernachlässigt.

Gleichzeitig stellte die Gruppe "Texans for Truth" in einem klaren Seitenhieb auf die Anti-Kerry-Gruppe Swift Boat Veterans for Truth einen neuen Werbespot vor, in dem ein ehemaliger Leutnant der Nationalgarde angibt, er selbst und keiner seiner damaligen Kollegen hätten Bush im Jahr 1972 in jener Einheit gesehen, in der er angeblich seinen Dienst verrichtet hat.

"Wir wissen, dass John Kerry damals in Vietnam war", kommentierte Demokraten- Chef Terry McAuliffe die neuesten Dokumente – und fragte den Präsidenten: "Wo waren Sie zu dieser Zeit, Sir?" (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.9.2004)