Grau und wild tost es in der Bucht von Coffee Bay. Die Schaumkronen der gepressten Wassermassen fliegen wie Schlagobers bei einer Stummfilm-Tortenschlacht durch die salzige Luft, und dazu ertönt Poseidons dumpfer Brandungsbass. Ein besonders dramatisches Stückchen Irland, möchte man meinen, hat sich hier ins südlichste Afrika verirrt, und unterwegs seltene Palmen, Schmetterlinge und Blumen aufgeschnappt.

Doch die Horrorgeschichten, die sich um die wilde Küste der Transkei ranken, passen noch besser zum Ende eines unruhigen Kontinents. Südafrikas Wild Coast gilt als Seebärenfresserküste par excellence. Erst 1991 kenterte das riesige Kreuzfahrtschiff "Oceanos" in der stürmischen See, und in der Ära der Ostkolonien versanken hier Truhen voll Gold und angeblich sogar ein persischer Thron. Legendär ist auch der lange Marsch der Matrosen der "Sao Joao": Im Juni des Jahres 1552 zerschellte die portugiesische Karavelle in einem Sturm. Von den 440 Überlebenden, die sich zu Fuß nach Mozambique Island durchschlagen wollten, erreichten lediglich acht Männer ihr Ziel.

Eine Wildnis blieb dieser Küstenabschnitt bis zuletzt. Keinerlei durchgehende Straße verbindet die isoliert gelegenen Küstendörfer. Über weiteste Strecken existiert noch nicht einmal eine Allradpiste. Zahlreiche größere Flüsse unterbrechen überdies die ufernahen Saumwege des Wild Coast Hiking Trail, Afrikas spannendsten Küstenwanderweges, der als "Strandloper Trail" an der Mündung des Kei River ganz im Westen beginnt, und bei Port Edward im Osten endet. Gesamte Gehzeit: circa drei Wochen. Das heißt, wenn das Wetter, die lokalen Guides und die eigenen Nerven mitspielen. Dass die Kinder hinter Coffee Bay mit hoch gehaltenen Mobiltelefonen auf durchreisende Kundschaft lauern, fügt sich bestens in Bild der isolierten Gegend. Denn immerhin handelt es sich dabei um selbst designte, aus dem ockergelben Ton der Gegend geformte Dinger, die nun den traditionellen Tonpüppchen und -tieren Konkurrenz machen.

Viele der kleinen Dörfer der unterentwickelten Region sind noch nicht ans öffentliche Stromnetz angeschlossen, während auch die Transkei, die das Hinterland der Wild Coast bildet, Jahrzehnte der politischen Isolation erlebte. Besuche der entlegenen Küste waren gerade in der Endphase der Apartheid-Ära nur erschwert möglich. Verschlafenes Bauernland blieben die rollenden Hügel aber auch hinterher, ein von Lokalkolorit geprägter Geheimtipp, dessen rundliche Hügelkuppen und türkisgrün getünchte Lehmhäuser ein wenig nach Mordillo aussehen. Oder zumindest wie ein übers wellige Land verteiltes Baukastenspiel: exakt zylindrische Häuschen, obenauf kegelförmige Grasdächer. Davor Gänse, Ziegen, Kühe, Hunde, Schweine und in jedem Fall ein uriger Gemüsegarten mit Bohnenranken und Kürbissen.

Doch die friedlich-pastorale Kulisse täuscht. Gezähmt ist die Urnatur der Wild Coast keineswegs. Das beweist auch die hügelauf und hügelab führende Steilküsten-Wanderung zur berühmtesten landschaftlichen Attraktion Coffee Bays, einem vom Meer ausgefrästen Felstunnel. Mit wilder Wucht zwängen sich die Wassermassen beim spektakulär schönen Ziel Hole-in-the-wall durch den Fels. Raubvögel kreisen über den Klippen. Subtropische Pflanzen bedecken die schwarzen Steilwände. Der dunkelgraue Himmel unterstreicht die Dramatik des Ortes. Dass das Meer hier ganz besondere Kapriolen schlägt, die Gischt turmhoch aufspritzt, hat mit der draußen verlaufenden Agulhas-Strömung zu tun.

Mit bis zu vier Knoten strömt diese parallel zur Küste nach Süden und verursacht dabei jene Turbulenzen und Riesenwellen, die an stürmischen Tagen zum maritimen Markenzeichen der Wild Coast wurden. Im Winter, wenn die Südostwinde über das Meer fegen, erreichen sie Rekordhöhen von über fünfzig Metern.

Heute ist hier Ökotourismus angesagt, zumal Südafrikas wilde Küste auch unter dem Mikroskop betrachtet etwas zu bieten hat. Mehr als 30 nur hier vorkommende Baumarten etwa, und rund 100 weitere endemische Pflanzenarten. Fünf Naturschutzgebiete reihen sich mittlerweile entlang des Wild Coast Trails, mit Dwesa findet sich das älteste der damaligen Homelands.

Abenteuerlich ist der Besuch des Dwesa Reserves bis heute geblieben. Wer vom Great Kei River aufbricht, der natürlichen westlichen Grenze der Wild Coast, durchwandert am Weg nach Dwesa die "sanfte", westliche Wild Coast, eine über weite Strecken von Sanddünen geprägte Küste. Felsiger ist die Steilküstenwanderung von Coffee Bay aus, an der einzelne Flüsse als Wasserfälle direkt ins Meer donnern. In beiden Fällen steht am Ende des Trips einer der zauberhaftesten Flecken Südafrikas.

Statt Muscheln liegen angespülte Hummer am weißen Sand. Wer genau schaut, kann mit etwas Glück sogar Nashornspuren finden. Steil steigen im Hinterland die dicht bewaldeten Berghänge zum blauen Himmel auf, und in der frühen Morgendämmerung spazieren kleinere Herden von Eland-Antilopen über die schwarzen Basaltplatten der Beach, die bei Ebbe wie eine elegante, flache Treppe ins Wasser führen.

Später schlendern die Angestellten des Parks in ihren blauen Arbeitskitteln vorbei, sitzen in kleinen Grüppchen unter den schattigen Nationalparkbäumen herum. Doch der Andrang an Gästen hält sich an diesem Tag in Grenzen. Leerer Campingplatz, leerer Strand. Und noch nicht einmal ein mögliches Wrack ist in Sicht. (Der Standard/rondo/10/9/2004)