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Machtdemonstration vor Ruinen: eine russische Militärpatrouille in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny.

Foto: AP / Musa Sadulayev
Wie die Schockwellen eines Erdbebens hat sich das katastrophale Ende der Geiselnahme von Beslan über den Kaukasus mit seinen Hunderten Volksgruppen und russischen Teilrepubliken, international nicht anerkannten Milizenstaaten und unabhängig gewordenen früheren Sowjetrepubliken ausgebreitet. Die unerhörte Brutalität des Terrorkommandos und das Versagen des russischen Staatsapparates haben Folgen bis nach Baku und Tiflis, von Grosny, der Hauptstadt des "normalisierten" Tschetschenien, wo Moskau gerade wieder einen neuen Präsidenten wählen ließ, ganz zu schweigen.

Ein Ziel der Terroristen, so sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, sei es gewesen, Hass zwischen den Volksgruppen zu schüren und den Nordkaukasus in Brand zu setzen. Doch der beispiellose Schlag gegen die Osseten, die seit Jahrhunderten den einzigen Übergang über den großen Kaukasus kontrollieren und heute zwischen der russischen Teilrepublik Nordossetien und der georgischen, aber abtrünnigen Provinz Südossetien geteilt sind, wirkt ebenso im Südkaukasus fort und geht in das politische Kalkül der dortigen Regierungen ein.

Gerüchte

Drei Tage nach dem Massaker von Beslan setzte der georgische Fernsehsender Mze das Gerücht in die Welt, ein von den Terroristen benutzter Lastwagen sei in Südossetien zugelassen. "Die georgischen Sicherheitsdienste prüfen das", versicherte am Montag Nino Burdschanadse, die Parlamentspräsidentin in Tiflis. Schon die kleinste Verbindung zwischen den Separatisten in Südossetien und dem Terrorkommando wäre ein unglaubliches Pfand in der Hand der georgischen Regierung, die auf eine Rückkehr der Provinz in den Staatsverband drängt und dabei in diesem Sommer so ungestüm vorging, dass sie den von der russischen Armee jahrelang ruhig gehaltenen Konflikt an den Rand eines Krieges brachte.

Hatte Tiflis nicht seit Monaten Moskau bedrängt, gemeinsame Kontrollen am Roki-Tunnel, dem Grenzübergang zwischen Nord- und Südossetien, einzurichten? War nicht der Schmuggel von Waffen und Drogen, der unkontrollierte Verkehr von Personen das Hauptargument der jungen georgischen Reformer, die mit den Grauzonen an den Grenzen zu Russland Schluss machen wollen und stets argumentieren, auch Moskau müsste großes Interesse an der Stabilität an der Südflanke des Landes haben?

Seit der damalige russische Präsident Boris Jelzin 1992 einen Waffenstillstand zwischen Südosseten und Georgiern erreichte, haben sich russische Truppen in der kleinen Bergregion festgesetzt und werden aus Wladikawkas ("Beherrsche den Kaukasus") beliefert, der Hauptstadt Nordossetiens, wo die 58. russische Armee steht. Auch in Nordossetien muss Moskau bis heute schlichten. 1992 brach auch hier ein Krieg zwischen den christlich-orthodoxen Osseten und den muslimischen Inguschen aus, die 1944 von Stalin deportiert wurden und nach dem Ende der Sowjetunion zurück in ihre Dörfer wollten (Artikel unten).

Erst im vergangenen Juli kündigte Inguschetiens Präsident Murat Sjasikow, wie Putin ein früherer KGB-Angehöriger, die Bereinigung des Flüchtlingsproblems an: 200.000 tschetschenische Flüchtlinge seien aus Lagern in Inguschetien in die Heimat zurückgekehrt - in den meisten Fällen unter Androhung von Gewalt; auf "ausschließlich freiwilliger Basis", behauptete Sjasikow. Nun sei die Zeit gekommen, auch jene Inguschen zurück nach Nordossetien zu lassen, die im kurzen Krieg 1992 geflüchtet waren.

Im Juli war es auch, dass Inguschetiens Mufti zurücktrat. Aus Protest gegen die "antiislamische Politik" des Präsidenten, erklärte Magomed Albogachiew, und wegen der zunehmenden Korruption und der Entführungen in der Kleinrepublik, die erst Anfang der 90er-Jahre von Tschetschenien abgetrennt wurde.

Zumindest die "antiislamische Politik" hat der Kreml auch gewollt: Separatistische Neigungen seien mittlerweile gefährlich weit verbreitet unter den Inguschen, hieß es bereits im November 2001 im Memorandum eines Beraters an Putin. (DER STANDARD, Printausgabe, 8. 9. 2004)