Im Herzen des Grazer Multikultibezirks Gries entsteht aus dem Kapitelsaal eines längst nicht mehr existierenden Klosters der alten Murvorstadt ein neues Gebetszentrum. Derzeit wird im Gewölbe der Dominikuskapelle, das noch nach frischer Farbe riecht, auch Theater gespielt. Zwischen sorgsam restaurierten Relikten einer alten und bemerkenswerten Zeugnissen einer neuen Einrichtung entrollt die Grazer Schauspielerin Anna Maria Gruber in einer Koproduktion von "Kunstgarten" und "AndrÄ-Kunst" Barbara Frischmuths Monodrama Rabenmutter.

Der Ort ist gut gewählt. Frischmuths (bereits 1991 verfilmter) Monolog ist ein weibliches Stück prometheischen Aufbegehrens gegen das väterliche, das männliche Prinzip und gleichzeitig ein Kreuzweg voll komplexer Bezüge aus christlicher Religion und germanischen Mythen. Regisseur Michael A. Richter löst die vierzehn Stationen des Abschieds einer Mutter von ihrem Sohn in den Raum hinein auf, bezieht die liturgischen Gegenstände und sparsame Requisiten in die wechselnden Stimmungen ein. (Entbehrliche Ergänzung bleibt dabei der Käfig, in dem der Rabenbraten sitzt, na ja.) Was ist ein Sohn? Etwas Schwaches, das unaufhörlich von seiner Stärke träumt.

Anna Maria Gruber beeindruckt einmal mehr mit einem starken Text von Barbara Frischmuth, den sie klug durchdringt. Den inzwischen kanonisierten Ingredienzien feministischer Literatur, dem klarsichtigen Schmerz, der Wut, der Liebe, der Solidarität, fügt Gruber ihre unbestrittene Präsenz hinzu und zieht das Publikum in ihren Bann. Sorgfältig gibt sie jedem Wort Bedeutung, schält sich als Rabenmutter aus dem Dekor der Tradition bis zur verletzlichen Nacktheit. Sie wütet, predigt, verhandelt, lächelt, fällt, kündigt den Vertrag auf und hat Stärke genug, sich von neuem einzulassen. (frak/DER STANDARD, Printausgabe, 7.9.2004)