Köln - Russische Oppositionspolitiker haben das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Geiselnahme in Nordossetien kritisiert. Das Ende der Geiselnahme in der Stadt Beslan sei "katastrophal", sagte der liberale Politiker Grigorij Jawlinski, Vorsitzender der im Parlament nicht vertretenen Jabloko-Partei, der Deutschen Welle am Freitag.

Vor Ort habe Chaos geherrscht, und es sei immer noch unklar, was genau mit Geiseln und Geiselnehmern passiert sei. Informationen darüber, was die Behörden getan hätten, um die Lage zu entschärfen, lägen nicht vor.

Kritik am Umgang mit den Medien

Jawlinski kritisierte auch die russische Medienpolitik. Kritische Journalisten seien davon abgehalten worden, die Region im Kaukasus zu bereisen. Die prominente russische Publizistin Anna Politkowskaja von der Zeitung "Novaja Gaseta", die in Büchern und Artikeln über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet habe, sei mit einer merkwürdigen Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Ein Korrespondent von Radio Liberty sei daran gehindert worden, von Moskau aus in das Krisengebiet zu fliegen, und unter einem Vorwand festgenommen worden.

Irina Chakamada von der Partei Freies Russland sagte dem Russischen Programm der Deutschen Welle, Russland werde sich nach der Geiselnahme von Beslan verändern. Das Vertrauen der Menschen in die Staatsmacht werde noch geringer sein, Egoismus und Großmachtstreben staatlicher Stellen würden dagegen weiter wachsen.

Nationale Schande

Auch einige russische Zeitungen übten einen Tag nach dem blutigen Ende des Geiseldramas von Beslan Kritik an der Informationspolitik der Behörden und des russischen Fernsehens. Die Kommentatorin der Tageszeitung "Iswetija", Irina Petrowskaja, nannte es eine "nationale Schande", dass die russischen Journalisten im Gegensatz zu ihren ausländischen Kollegen "keine Möglichkeit hatten, das Geschehen zu zeigen".

Während CNN live über die Erstürmung der Schule berichtete, hätten die beiden großen russischen Staatssender Perwi Kanal und Rossija ihre Zuschauer mit Abenteuersendungen und Romantikfilmen unterhalten.

Gesellschaftliche Pflichten vernachlässigt

In ihrem scharfen Leitartikel warf Petrowskaja den Behörden vor, den russischen Journalisten die Arbeit so gut es ging erschwert zu haben. Diese wiederum hätten ihre "gesellschaftlichen Pflichten vernachlässigt", um die Regierung nicht zu verärgern. "Die einzige Lektion", die die Regierung aus der blutigen Geiselnahme im Oktober 2002 im Moskauer Musical-Theater "Nord-Ost" gelernt habe, sei, "wie sie Journalisten an der Arbeit hindern kann, sie soweit wie möglich vom Ort des Dramas fern halten, ihnen sowenig Informationen wie möglich geben kann - oder besser noch, gar keine."

Kein Protest

Diese hätten sich ihrerseits an die von oben aufgezwungenen Spielregeln gehalten, ohne zu protestieren. So habe sich der russische Radiosender Moskauer Echo damit begnügt, die Verlautbarungen der russischen Agenturen vorzulesen, schrieb die "Iswetija"-Kommentatorin weiter. Die gesamte erste Stunde nach Beginn der Erstürmung hätten die russischen Sender Stillschweigen bewahrt. Nach Informationen der Wirtschaftszeitung "Kommersant" hatten die Mitarbeiter des privaten, de facto aber staatlich kontrollierten Senders NTW zudem Anweisung, vor der öffentlichen Bekanntgabe die Zahl der Toten nicht zu erwähnen.

Schon in den letzten Tagen waren immer wieder Zweifel an den Angaben der Behörden aufgekommen. So war spätestens seit der Freilassung der ersten Geiseln am Donnerstag klar, dass die Angaben zur Zahl der in der Schule von Beslan festgehaltenen Kinder, Lehrer und Eltern weit untertrieben waren; während offiziell noch von etwas mehr als 350 Geiseln die Rede war, sprachen mehrere freigelassene Frauen von bis zu 1500 Geiseln - tatsächlich hatte das Geiselkommando weitaus mehr als tausend Menschen in seiner Gewalt.

Zögerliche Berichterstattung

Auch über die Zahl der Toten wurde nur sehr zögerlich berichtet; erst am Abend räumte Kreml-Berater Aslambek Aslachanow ein, dass die Zahl "deutlich über 150" liegen könnte; am Samstag dann lag die Zahl schon bei mehr als 320. Und während noch überall Schüsse und Explosionen zu hören war, meldete der Krisenstab am frühen Freitagnachmittag bereits das erfolgreiche Ende der Erstürmung - tatsächlich zogen sich die Kämpfe noch bis in den späten Abend hinein. Auch über die Forderungen der Geiselnehmer gab es zunächst so gut wie keine amtlichen Informationen - ebenso versuchten die Behörden zunächst, den deutlichen Tschetschenien-Bezug der Geiselnehmer herunterzuspielen.

Kritisch registrierten die Zeitungen auch das auffällige Schweigen der Kreml-Führung zu den dramatischen Ereignissen: Während der langen Stunden am Freitag sei der örtliche Geheimdienstchef Waleri Andrejew der einzige Regierungsvertreter gewesen, "der vor den Kameras sprach", schreibt "Kommersant". (APA)