Alle Plätze verkabelt, Internetzugang von 70 Terminals: der nach vier Jahrzehnten neu und behinderten- gerecht gestaltete Hauptlesesaal der National- bibliothek.

Foto: ÖNB,/Ingrid Oentrich
Johanna Rachinger, seit 2001 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, verpasst der einst verstaubten Institution einen Modernisierungsschub nach dem anderen: Am Montag werden die neu gestalteten Lesesäle in der Neuen Burg wiedereröffnet.


Wien - In seinem Übereifer, die Albertina auf Hochglanz bringen zu wollen, ließ Direktor Klaus Albrecht Schröder nicht nur den biedermeierlichen Bibliotheksgang nieder-, sondern auch einen 200 Jahre alten Fußboden herausreißen. Nun wurden die Parketten in der Nationalbibliothek verlegt - und tragen zur gediegenen Atmosphäre im restaurierten Van-Swieten-Saal bei, den Johanna Rachinger, seit 2001 Generaldirektorin der ÖNB, nicht ohne Stolz herzeigt.

Doch das ist nur eine Facette: Sie ließ auch die "Moderne Bibliothek" mit den Serviceeinrichtungen, seit der Eröffnung Mitte der 60er-Jahre in der Neuen Burg nicht mehr verändert, neu gestalten. Die beiden großen Lesesäle mit den verkabelten Arbeitsplätzen und die auf 70 verdoppelten Rechercheterminals bestechen durch schlichtes, zeitgenössisches Design. Sie werden am Montag mit einem Festakt (18.30 Uhr) eröffnet.

Die Innenausgestaltung, die sich mit 2,5 Millionen Euro zu Buche schlägt, finanzierte Rachinger aus den Gewinnen der mit Jahresbeginn 2002 ausgegliederten Nationalbibliothek. Denn die Managerin, die zuvor den Ueberreuter-Verlag leitete, fand mit der vereinbarten Basisabgeltung von 20,6 Millionen Euro das Auslangen, obwohl die Öffnungszeiten der Hauptlesesäle unter der Woche bis 21 Uhr verlängert und die Ankaufbudgets um 100 Prozent angehoben wurden: weil der Eigendeckungsgrad versechsfacht, der Sachaufwand erheblich gesenkt werden konnte.

Im Vorjahr hat Rachinger das Ergebnis sogar noch übertreffen können: Nach 2,16 Millionen Euro 2002 machte die ÖNB nun einen Gewinn von deren 2,3 Millionen. Man könnte daher fast meinen, die Basisabgeltung sei zu hoch angesetzt worden. Doch Rachinger widerspricht heftig. Denn 70 Prozent des Budgets fließen in die steigenden Personalkosten. Und Einsparungspotenziale sieht sie keine mehr:

"Wir haben einen unglaublichen Handlungsbedarf! Weitere Sicherheitsmaßnahmen, die Sanierung des Bildarchivs und der Kartensammlung, nächstes Jahr eröffnen wir das Palais Mollard mit der Musiksammlung, dem Globen- und dem Esperantomuseum. Und: Auch wenn die Katalogmigration 2005 abgeschlossen ist, künftig also alle Kataloge über das Internet abrufbar sind, stehen wir bei der Digitalisierung der Bestände und der Langzeitarchivierung erst am Anfang. Wir brauchen Speicherkapazitäten und Datenbanken. Auch hängt es vom Geld ab, wie schnell wir die Digitalisierung vorantreiben können." Rachinger hofft daher, dass ab 2005 nicht nur für die Bundesmuseen und -theater, sondern auch der ÖNB mehr Geld zur Verfügung steht: "Bildungsministerin Elisabeth Gehrer sagte, dass die Tüchtigen belohnt werden müssen."

Trotz forcierter Digitalisierung werde die Nationalbibliothek dennoch nie eine virtuelle werden. Denn zumindest sie müsse wirklich die Bücher sammeln: "Es gibt ja auch andere Zugänge zum Buch als nur den, sich den Inhalt herauszusaugen."

Nicht bewältigbar

Zudem wäre die Digitalisierung von gegenwärtig 7,32 Millionen Büchern und Objekten (pro Jahr kommen rund 100.000 hinzu) selbst auf sehr lange Sicht nicht zu bewältigen: "Angesichts der immensen Kosten ist die komplette Digitalisierung der Bestände auch nicht sinnvoll. Denn nur jedes 20. Buch wird in der Regel gelesen. Es geht darum, Prioritäten zu setzen: Digitalisiert werden Objekte, die häufig verwendet werden, zum Beispiel Zeitungen, und Preziosen, die durch die Entlehnungen Schaden nehmen."

Aufbewahrt werden muss aber auch der größte Schrott. "Wir sind eben eine Gedächtnisinstitution. Unsere Aufgabe ist es, alles zu sammeln, was in Österreich erscheint, um den Zustand einer Nation zu dokumentieren, und nicht, Inhalte zu bewerten. Denn das wäre sehr gefährlich. Und auch präpotent, wenn wir uns eine Entscheidung über das Sammelswerte anmaßen - und spätere Generationen vermissen dann vielleicht etwas."

Alles zu sammeln bringt aber Lagerprobleme mit sich: Der 16.000 Quadratmeter große Tiefspeicher, 1992 eröffnet, wird nicht, wie einst gedacht, bis in die 20er-Jahre reichen, sondern spätestens 2010 voll sein. Ein zweiter tut daher Not. Er soll unter dem Heldenplatz errichtet und mehr als doppelt so groß wie der erste Tiefspeicher werden (vier Geschoße mit je 9000 Quadratmetern): "Bis Jahresende liegen die Baugutachten vor. Dann wird es darum gehen, das Geld aufzustellen." Es werde von der Republik kommen müssen: "Dafür findet man keinen Sponsor." Die Kosten schätzt Rachinger auf gut 50 Millionen Euro, spätestens 2007 muss der Tiefspeicher, der für die Bücher des nächsten halben Jahrhunderts reiche, realisiert werden.

Zwar nicht platzintensiv, dennoch problematisch sind die Veröffentlichungen im Internet, die derzeit - noch - nicht gesammelt werden. "Diese Herausforderung betrifft ja nicht nur uns, sondern die Bibliotheken weltweit. Wir müssen erst die technischen Voraussetzungen schaffen, um überhaupt die langfristige Archivierung sicherzustellen. Aber unser Team Digitale Medien hat bereits ein Konzept erstellt. Und wir testen gerade das Archivierungssystem Digitool." Es soll 2005 in den Regelbetrieb übergeführt werden, so Rachinger: "Wir wollen zunächst Hochschulschriften und wissenschaftliche Zeitschriften elektronisch speichern. Aber davor müssen die Urheberrechtsfragen geklärt sein." (DER STANDARD, Printausgabe vom 4.9.2004)