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Russische Soldaten vor der Schule in der nordossetischen Stadt Beslan.

Foto: AP Photo/RTR, Russian Television

Wie das gleichgeschaltete Fernsehen, so blendet auch die russische Bevölkerung Terror und Krieg im Land tunlichst aus. Als seltene Ausnahme gab vor wenigen Tagen eine Frau im privaten Gespräch zu, sie fürchte sich, seit sie ein Kind habe. Am Mittwoch um zehn Uhr vormittags wurde der Horror für Hunderte Eltern wahr. In der Stadt Beslan in der südrussischen Republik Nordossetien an der Grenze zu Tschetschenien drangen maskierte Bewaffnete in eine Schule ein und nahmen Kinder, Lehrer und Eltern, die am ersten Schultag anwesend waren, als Geiseln.

Widersprüchliche Angaben

Die Angaben über die Anzahl der Geiseln und der Geiselnehmer waren zunächst sehr widersprüchlich: 17 bis 30 Personen, unter ihnen zwei Frauen, hatten demnach zwischen 120 und 400 Geiseln in ihrer Gewalt. Das nordossetische Innenministerium sprach zuletzt von 120 bis 150 Geiseln. In der Mittelschule waren zwischen 400 und 850 Kinder im Alter von sieben bis 17 Jahren eingeschrieben. Die Terroristen drohten mit der sukzessiven Erschießung der Geiseln und mit der Sprengung der Schule, sollte diese gestürmt werden. 50 Schülern gelang gleich zu Beginn die Flucht, weitere 15 wurden später freigelassen.

Diese untersagten, Lebensmittel und Getränke in die Schule zu schaffen. Die Geiselnehmer setzten die Kinder von Anfang an als Schutzschild gegen eine Erstürmung der Schule durch Polizei und Militär ein. Die Geiseln wurden in den Turnsaal getrieben. Zwischen ihnen postierten sich Geiselnehmer mit Sprengstoffgürteln am Leib.

Das Areal rund um die Schule sei vermint, hieß es. Aus dem städtischen Krankenhaus verlautete später, bei Schießereien während der Geiselnahme seien acht Menschen ums Leben gekommen. Die Terroristen nahmen von sich aus Kontakt zu den Behörden auf. Zuerst schickten sie eine Geisel mit der Botschaft "Wartet!". Kurz darauf folgte die Übergabe einer Videokassette, auf der einige Leute die Zulassung dreier Verhandlungspersonen mitteilten: des Präsidenten Inguschetiens, Murat Sjasikow, des Präsidenten Nordossetiens, Alexander Dsasochow, und des Arztes Leonid Roschal. Roschal hatte bereits während der Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater Nordost im Oktober 2002 vermittelt. Dsasochow befand sich schon seit Vormittag am Ort des Geschehens.

Itar-Tass berichtete, die Sicherheitskräfte würden mit den Geiselnehmern verhandeln. Die russische Nachrichtenagentur berief sich auf den Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Waleri Andrejew, nannte aber keine Einzelheiten.

Abzug russischer Truppen aus Tschetschenien verlangt

Mehreren Meldungen zufolge forderten die Terroristen den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien und die Freilassung von 27 Rebellen, die am 22. Juni bei dem vom tschetschenischen Warlord Schamil Bassajew geleiteten Rebellenüberfall auf Inguschetien gefangen genommen wurden. Angeblich wurde gedroht, 20 Geiseln für jeden verletzten, 50 für jeden getöteten Rebellen umzubringen.

1995 hatten tschetschenische Rebellen unter dem Kommando Bassajews in der südrussischen Stadt Budjonnowsk ein Krankenhaus besetzt und rund 2000 Menschen als Geiseln genommen. Rund hundert Menschen wurden bei der Befreiung getötet. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2004/APA/dpa)