Bruno Ganz

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Die Bernd-Eichinger-Produktion "Der Untergang" über Hitlers letzte Tage im Bunker ersetzt Schuld und Mitschuld durch Schaudern und Kopfschütteln: Oliver Hirschbiegels Film stiftet die Kontinuität bedenklicher Erzählformen.

Im Jahr 1942 bekam Adolf Hitler eine Sekretärin, die des Hochdeutschen nur teilweise mächtig war: Traudl Junge blieb "bis zur letzten Stunde" an der Seite des Führers, aber sie ging nicht mit ihm in den Tod. Deswegen konnte sie später davon erzählen, wie es zuging im Bunker unter dem belagerten Berlin, als die Rote Armee bereits mit Artillerie auf den Reichstag schoss.

Ihre Erinnerungen wurden ein Bestseller, in dem Dokumentarfilm Im toten Winkel von André Heller und Othmar Schmiderer versuchte sie vor zwei Jahren, hochbetagt, sich Rechenschaft zu geben über ihre historische Erfahrung. Als sie kurz darauf starb, wurde eine weitere Akte des Dritten Reichs geschlossen, und es ist, als hätte das deutsche Kino nur darauf gewartet, endlich den Schritt vom Dokument zur Fiktion, von der individuellen Anschauung zur kollektiven Vorstellungskraft machen zu können.

In zwei Wochen kommt Der Untergang in die Kinos, ein Film über die letzten Tage des Nationalsozialismus, mit Bruno Ganz in der Rolle des Adolf Hitler. Traudl Junge, gespielt von Alexandra Maria Lara, fungiert darin als eine Stellvertreterin des deutschen Volks. Indem die Werbung bereits auf vollen Touren läuft, vollzieht sich auch ein Wendepunkt in der Gedächtnispolitik der Deutschen: Aus der nationalen Hypothek ist ein Stoff geworden, das Gedenken wird zur kommerziellen Spekulation nicht zuletzt auf die internationalen Filmmärkte.

Unerwartet kommt dies nicht, denn seit Jahren schon verkauft sich der Nationalsozialismus prächtig, und was sich als Aufklärung geriert, ist nicht selten nackte Quotenjagd. Namentlich der ZDF-Historiker Guido Knopp hat mit seinem harten Zugriff auf das überlieferte Bildmaterial aus den Jahren 1933 bis 1945 die historisch-kritische Ebene längst verlassen. Knopp hat den komplexen Zusammenhang der deutschen Selbstauslieferung an Hitler in kleine Schauergeschichten portioniert, die inzwischen ein gefragter Exportartikel sind.

Der Untergang enthält nun viele Einstellungen, die wie direkt aus diesen Fernsehsendungen übernommen wirken: Hitler zwickt einem Jungen die Wange; Hitler spielt mit seinem Hund; Hitler vor den Architekturmodellen von Städten, die draußen bereits in Trümmern liegen. Der Film des Regisseurs Oliver Hirschbiegel, zu dem der Produzent Bernd Eichinger auch das Drehbuch geschrieben und damit die Leitlinien vorgegeben hat, sucht nach den intimen Momenten des welthistorischen Dramas.

Wie Karikaturen

Aber die Bilder werden einfach nicht realistisch, sie wirken wie billige Farbkopien eines schwarz-weißen Originals, und die Schauspieler erscheinen wie Karikaturen: Bruno Ganz spielt Hitler hart am Wahnsinn, ist damit aber genauso nahe an Chaplins Der große Diktator wie am Original. Ulrich Matthes als Goebbels spielt, als müsste er den Teufel selbst dämonisieren. Das ganze Ensemble agiert so, wie Hitler schon 1955 in dem österreichischen Film Der letzte Akt von dem Burgtheaterstar Albin Skoda dargestellt worden war: Die Männer ziehen alle Register, während die Frauen (Lotte Tobisch spielte damals die Eva Braun) unbedarft zusehen müssen.

Der letzte Akt war kein Publikumserfolg, obwohl der junge Oskar Werner in der Figur des Hauptmanns Wüst eine Möglichkeit zu positiver Identifikation gab. Der Untergang gibt sich nun dezidiert als "the greatest German story ever told", produziert mit einem Budget von 14 Millionen Euro. Es geht nicht mehr um Schuld und Mitschuld, sondern um Schaudern und Kopfschütteln. Wie in Mel Gibsons The Passion of Christ geht es auch hier um eine Geschichte, deren Ausgang bekannt ist, und bei der alles davon abhängt, wann die Augenzeugen die Wahrheit erkennen.

"Morgen schon werden mich Millionen verfluchen", sagt Hitler in Der Untergang, und es klingt wie ein entstelltes Jesus-Zitat. Die Figur, die aus Der Untergang in einem besonders positiven Licht hervorgeht, ist Albert Speer (Heino Ferch). Er ist der Pilatus, er verkörpert die Möglichkeit, dass man auch im Machtzentrum des Nationalsozialismus unschuldig bleiben konnte, ja, dass man Hitler reinen Herzens lieben konnte. Speer spricht in der ersten Hälfte des Films einige bedeutungsschwere Sentenzen. Dann tritt er ab, opernhaft verschwindet er im Nebel.

Die Legitimation für diese Darstellung stammt von Joachim Fest, dessen Sachbuch Der Untergang die Vorlage für den Film wurde. Fest hat nicht nur als Hitler-Biograf in Buch-und Filmform den populären deutschen Geschichtsdiskurs geprägt, er hat auch mitgearbeitet an Speers Spandauer Tagebüchern, die 1975 erschienen und ein Bestseller wurden. Sie schilderten den Nationalsozialismus von innen. Speer war ein privilegierter Zeuge, nicht so sehr ein Mittäter. In seinen Skrupeln konnte sich eine ganze Generation wiedererkennen, aber es war seine Nähe zur Macht, zu Hitler selbst, die so verführerisch war.

Hier zeigt sich nun, dass der Film Der Untergang keineswegs eine Zäsur bedeutet, sondern eher eine Kontinuität stiftet. Fests Interpretation wird mit dem Spielfilm kanonisch, indem sie fiktiv überhöht wird. Speer ist der eigentliche Stellvertreter der Deutschen im Film, während Junge das bleibt, was sie tatsächlich war: eine Sekretärin, eine naive Zuseherin, die kaum Worte hatte für das, was sich vor ihren Augen ereignete. Der Untergang stellt sie als die privilegierte Zeugin aus, aber das ist nur ein Ablenkungsmanöver. Dieser Film liebt die Männer und den Tod.

Der beinah Unspielbare
Hitler-Darsteller im Wandel der Filmzeit

Eines der Klischees über Adolf Hitler ist, dass er ein großer Schauspieler war. Er gilt deswegen als "unspielbar". Trotzdem gibt es zahlreiche Versuche, sich der historischen Figur darstellerisch zu nähern: Charles Chaplin trat mit Der große Diktator bereits 1940 in eine direkte Konkurrenz zu Hitler, den er auf einen jüdischen Doppelgänger treffen ließ.

Albin Skoda verließ sich in dem österreichischen Bunkerdrama Der letzte Akt (1955) vor allem auf seine souveräne Sprachbeherrschung und die Schattenspiele des Regisseurs G.W. Pabst. 1978 brachte Hans-Jürgen Syberberg seinen über achtstündigen Hitler, ein Film aus Deutschland heraus, in dem der "Führer" in verschiedenen Gestalten auftrat, vor allem auch als Puppe, denn Syberberg sah Hitler eher als Syndrom der deutschen Geschichte denn als individuelle Figur.

In der britisch-italienischen Koproduktion Hitler - Die letzten zehn Tage (1972) spielte Alec Guinness den Diktator ohne Handlungsspielraum. Hollywoodstar Armin Mueller-Stahl gab 1996 in Gespräch mit der Bestie einen Hitler, der zu Lebzeiten schon Darsteller seiner selbst beschäftigt hatte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.8.2004)