Czeslaw Milosz' Lyrik - der Dichter und Nobelpreisträger ist erst vor wenigen Wochen 93-jährig gestorben - hat im Verlauf von sieben Jahrzehnten eine Konzentration erfahren, die zu den großen Reduktionsleistungen der Moderne zählt. Poetische Kalküle verdampfen in dieser gebündelten Sprechweise zu ethisch begründeten Entscheidungen. Was es (noch) zu sagen gibt, darf keinesfalls in rhetorischer Verbrämung daherkommen.
Zeugnis
Irgendwo an der Schwelle zwischen Eingedenken und Verflüchtigung liegt das süße Grauen, das aus der Anerkennung der eigenen Zeitlichkeit unheilvoll empordringt. Der Tod ist für den greisen Dichter durchaus jener Skandal, der den Verlust physischer Unversehrtheit nicht verwinden hilft und die Erhaltung des "Ich" als Bedingung für das "Lob der Dinge" ausweist. Der Krakauer Poet spielt durchaus verschämt mit der Wollust des Dichtens.
Der Ritter im Harnisch der Verse
Die Betrachtung "geläufiger" Naturerscheinungen erzeugt jene Wirbel der Registratur, die etwas Schmerzliches an sich haben: "Unfassbar die Formenvielfalt der Blätter:/ wie Lanzen, wie Schwerter,/ wie Herzen, wie Schaufeln,/ wie Zungen, wie Federn,/ gekerbt und gezähnt,/ gezackt und gesägt - wer nennt es beim Namen?" Es läge ja gerade an den "Zungen", den "Federn", die genannte "Formenvielfalt" zu bezeugen. Es gehört zur Aufrichtigkeit dieser äußerlich schmucklosen Poetik, dass sie ihre Erkenntnismittel der Sphäre der Naturschönheit zuschlägt, jegliche Ziererei aber strikt von sich weist.
Im Felde der Literatur, dieses "Turniers der Buckligen", hat Czeslaw Milosz eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen: vom "Zagaristen" der Wilnaer Dichterzirkel hin zum murmelnden Beschwörer der Zuversicht. Doch der Ritter im Harnisch der Verse zieht es im Zweifelsfalle doch vor, sein eigener Sancho Pansa zu sein. Wer möchte, kann am Lobpreis von Papst Johannes Paul II. Anstoß nehmen: "Wenn sich die Mächte des Chaos melden,/ Und die Besitzer der Wahrheit sich in den Kirchen verschanzen,/ Und einzig die Zweifelnden gläubig bleiben,/ Erinnert Dein Porträt bei uns zu Hause jeden Tag daran,/ Was ein Mensch vermag, und wie Heiligkeit wirkt."