Ralf Witthaus wird so oft gefragt, ob er eine Genehmigung hat, bis er nicht mehr antworten mag. Denn Witthaus, der Künstler aus Köln, hat den öffentlichen Rasen zu seinem Zeichenblatt erklärt. Witthaus ist 30 Jahre alt und der Beweis dafür, dass Rasenmähen nichts zu tun haben muss mit dem spießigen Rauf und Runter übers Grün mit Unterhemd überm Bauch, Tschick im Mund und Flasche in der Hand.

Witthaus zeichnet mit dem Rasentrimmer, und seine Linien sind braun und deutlich. "Ich schneide bis zum Ende", sagt er. "Finito." Da kennt er kein Erbarmen. Das passt zur Oberfinanzdirektion Münster, die Witthaus einlud, das öffentliche Grün zu fräsen. Sechs Wochen lang war Witthaus in Münster unterwegs. Er schnitt 4466 Rasenparzellen in die Schlosswiese, um den 4466 Fenstern des Schlosses etwas entgegenzusetzen und damit auch der Herrschaftsattitüde, die das Gebäude ausstrahlt. In einem gut situierten Bürgerviertel kappte er für jeden anwohnenden Bürger ein rundes Rasenstück in die Parkwiese. Jedem Bürger sein Privatgrün. Womit Witthaus das Besitzdenken auf die Spitze trieb.

Vor der Oberfinanzdirektion rasierte er sechseckige Waben ins Grün, welche dem Konferenzraum im Innern des Finanzwächterimperiums entsprechen. Damit auch jeder Münsteraner seine privaten Finanzprobleme ausbrüten kann. In einem anonymen Wohngebiet stutzte Witthaus Wege in die Wiesen, damit die Bewohner auch mal den Weg zum Nachbarn finden. Kunst am Rasen. Da stoßen Welten aufeinander. Die Freiheit des Künstlers und die Rasenmäherlärmverordnung vom 13. Juli 1992. Denn Witthaus benutzt einen benzingetriebenen Rasentrimmer. Das ist so ein Ding zum Umhängen, mit einer langen Stange, an deren Ende die Scherblätter rotieren. Vor allem macht ein Rasentrimmer einen Höllenlärm. Mitten in der Stadt schnitt Witthaus wochenlang zwischen elf und 18 Uhr. Manchmal bis 22 Uhr.

Ab und an gönnte er sich eine kurze Pause. Mehr nicht. Die Rasenmäherlärmverordnung von 1992 und die landesrechtlichen Lärmschutzverordnungen aber schreiben Mähpausen zwischen 13 und 15 Uhr vor. Und Punkt 19 Uhr muss Schluss sein. Es sei denn, man besitzt einen so genannten Flüstermäher mit einem Schallleistungspegel von weniger als 88 Dezibel, "bezogen auf ein Pikowatt". Einen solchen Mäher hatte Witthaus natürlich nicht. Aber Zeitdruck. Denn während er vorne mähte, wucherte hinten schon wieder alles zu.

Witthaus hatte einen Helm und ein Paar Ohrenschützer. Die Anwohner hatten schnell die Schnauze voll. Zumindest am Anfang. Obwohl sich Witthaus seinen schwarzen Anzug überstreifte, um nicht als nerviger Grünarbeiter durchzugehen. Daraufhin hielten ihn die Leute für einen Studenten oder für einen Praktikanten, der Strafarbeit verrichten muss. Grinsen muss er, wenn er sich erinnert. Der Muskelkater ist längst abgeklungen, doch die Kommentare der Münsteraner hat Witthaus noch im Kopf: "Wer hat das genehmigt?" "Warum machst du unseren Rasen kaputt?" "Sie sind doch von einer Sekte, das hat doch was mit diesen Ufos zu tun." "Scheiß Rasenmäher!" Der Künstler hat es ihnen erklärt. Einmal, zweimal, immer wieder. Es ging nur schwer hinein in die Köpfe. Aber es ging. Die Kommentare änderten sich: "Meine Tochter hat gesagt, ich soll mir das ansehen, das ist Kunst." "Ich hab' schon gefürchtet, Sie kommen heute gar nicht." "Warten Sie, ich helfe ihnen beim Harken."

Witthaus will seine Kunst nicht in einer Galerie verstecken

Witthaus hat es durchgestanden. Er hat sich angreifbar gemacht und sich harte Worte anhören müssen dafür, dass er seine Kunst nicht in einer Galerie versteckt. "Ich bin auch Kunstvermittler", sagt Ralf Witthaus. Er hat mit Anwohnern am Küchentisch gesessen und über Kunst und Kuchen geredet. Mit den Grünflächenleuten von Münster hat er über die Vorzüge verschiedener Scherblätter gefachsimpelt. Er hat die Passanten auf seine Grasparzellen gewinkt, wenn sie sich nicht trauten, die Kunst zu erlaufen. Er hat gesehen, dass es den Leuten nicht egal war, was er dort macht. Er hat erreicht, was jeder Künstler erreichen will. Dabei ist die Idee mit den Rasenmäherzeichnungen aus der Not geboren.

Am Ende hatte er eine Taube in die Prärie gefräst

Witthaus kam während seines Kunststudiums nicht mehr weiter mit dem Zeichnen. Papier und Stift, das erschien ihm ausgereizt. Auf einem Künstlertreffen in Tschechien sah er 1998 eine große Wiese vor sich liegen und einen Rasentrimmer neben sich in der Ecke stehen. "Wie groß kann ich eigentlich zeichnen", fragte sich Witthaus. Er klebte eine handtellergroße Zeichnung auf den Griff des Rasentrimmers, packte das Ding und marschierte los. Am Ende hatte er eine Taube in die Prärie gefräst. Spannweite: 300 Meter. Eine Taube hat keine geraden Kanten. Sie lässt sich relativ leicht in einen Rasen trimmen. Es fällt nicht so auf, wenn etwas schief geht. Das Münsteraner Projekt hingegen hatte Ecken und gerade Linien. Aus Prinzip spannt Witthaus keine Schnüre. Er ist ja Künstler und kein Vermessungstechniker. Er orientiert sich an Mülleimern, Wegmarken, Bürgersteigkanten.

Vierrädrige Rasenmäher fasst Witthaus nicht an: "Der fährt einmal in eine Mulde und schon wird die Linie krumm. Das merkt man erst, wenn es zu spät ist." Und wenn es schon ein Rasentrimmer sein muss, dann einer für Profis. Witthaus kann sich noch gut daran erinnern, wie ihm sein Benzintrimmer einmal absoff. Solch ein Gerät muss man mit einer Schnur wieder anreißen. Witthaus brauchte eine halbe Stunde. Dann fiel ihm fast der Arm ab.

Jahrelanges Training hat sein Auge geschärft und seine Trimmfähigkeiten perfektioniert. "Immer schön gleichmäßig aus den Hüften schwingen", sagt Witthaus. Wobei sich natürlich nicht immer verhindern lässt, dass die Scherblätter in die Erde hacken. Oder in eine versteckte Pfütze. Münster ist im Lot, der Trimmer weggepackt. Die Natur nimmt wieder Besitz vom Grün. In wenigen Wochen wird nicht mehr zu sehen sein, dass Ralf Witthaus hier beim Rasenmähen in ganz neue Dimensionen der Grünpflege vordrang. Wobei Kunst ja manchmal ansteckend wirken soll. (DERSTANDARD/rondo/Christian Sywottek/27/08/04)