Richard Pils fördert in seiner Bibliothek der Provinz immer wieder und gerade die Eigenwilligkeit der Kunst. Dem lauten Blick verborgen unter den alten Schindeln des Raaber Schlosses.

Foto: Bibliothek der Provinz
Raabs an der Thaya - Die Nacht singt ihre Lieder im Verborgenen. An diesem Wochenende zog es die dunkle Sängerin in den Norden. Nach Raabs an der Thaya nah der tschechischen Grenze. In Norwegens frostigen Winter. Sorgsam verborgen vor der Weltöffentlichkeit, im intimen Rahmen des allsommerlich von Verleger Richard Pils im Raaber Schloss organisierten Poetenfestes ereignete sich, wovon hoch dotierte Festivals wie das Salzburger meist vergeblich träumen: einer jener seltenen Glücksmomente, in denen Theater die Welt verwundert lauschen, den gleichgültigen Fluss der Zeit kurz stocken lässt. Josef Bierbichler war nach Raabs gekommen, um dort Der Gitarrenmann zu geben, jenes große Lied der Müdigkeit des Norwegers Jon Fosse, das er am Zürcher Schauspielhaus mit Christoph Marthaler vor drei Jahren zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht hatte, und das in Zürich wie in Hamburg, wohin Bierbichler und sein leerer Gitarrenkoffer anschließend zogen, die Kritiker unisono zu Hymnen hinriss. So wenig, so viel: Kurz vor Vorstellungsbeginn stieg Bierbichler aus seinem Tölzer Jeep. Schnell war das Benötigte auf der Bretterbühne des Rittersaales organisiert. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bier, ein Schnaps (zwei Schnaps). Zigaretten. Gedanken-Klumpen Ein großer Text. Fosses Dramen verkürzen die Sprache auf jene wesentlichen, manisch im Kopf kreisenden Gedanken-Klumpen, die der Fantasie die Luft zum Atmen benehmen. Und sie verstehen es, diesen schweren Gebilden durch vielstfache, minimal variierte Wiederholung die karge Poesie des realen Lebens abzugewinnen, das im Wesentlichen durch solche Variationen seiner Tage klingt. Die zartbittere Grazie der Eintönigkeit ist der Fokus des Fosseschen Schreibens - wie der Marthalerschen Regie. Und keiner verleiht ihnen Stimme und Körper wie Josef Bierbichler. Ob als Kasimir in Horváth-Marthalers unvergleichlichem Kasimir und Karoline - ob nun als Gitarrenmann. Jener Straßenmusikant, der in zugigen Passagen vor peinlich beiseite blickenden Passanten die immer gleichen Lieder klimpert. Der in den Norden kam wegen einer Frau. Der dort blieb wegen einem Sohn. Von der Frau verlassen, vom Sohn gemieden. Ein kleines Schicksal. "Ich bin eine verunglückte Erfindung." Ein Menschenleben. "Ich bin meine eigene Nacht. Und ich bin wahrscheinlich eine Sprache, die niemand sonst versteht."

Dass Bierbichler nach Raabs kam, Richard Pils seinen 40-minütigen Vortrag zum Geschenk zu machen, sagt vielleicht mehr aus über die Arbeit dieses ungewöhnlichen Verlegers als seitenlange Elogen, für die das 15-jährige Jubiläum seiner Bibliothek der Provinz in diesem Jahr Anlass geben könnte.

Bierbichler kam, so darf vermutet werden, über seinen frühen Weggefährten, Bayerns neben Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog wichtigsten (und meistverkannten) Filmemacher, Autor und Maler Herbert Achternbusch nach Raabs. Achternbuschs kompromissloser Eigenwilligkeit wegen verlegen heute nicht länger Suhrkamp, Fischer und Hanser - alles irgendwann Achternbusch-Verlage - das umfangreiche Prosawerk. Seine Bücher erscheinen seit Jahren bei Richard Pils, der derzeit eine Werkausgabe des sperrigen Oeuvres erarbeitet. "Warst du Axel Corti?" Zum Jubiläums-Poetenfest kamen denn auch, neben den beiden einsiedlerischen Bayern, zahlreiche andere Pils-Künstler. George Tabori gab sein jüngstes Drama Die Hinrichtung, sehr zum Unwillen von Claus Peymann, zur halboffiziellen Uraufführung frei, die am Freitag mit Meike Droste und Markus Meyer über die Rittersaal-Bühne ging. Robert Neumüller zeigte seine eindrucksvolle Axel-Corti-Dokumentation Warst du Axel Corti?. Und viele, viele lasen. Und aßen Raaber Bauernbrote. Und lauschten den schweren Liedern der Nacht. "Ich bin ein Lied, das ich noch nie gesungen habe." So ist das. So sind wir. So ist Raabs. (Cornelia Niedermeier/DER STANDARD, Printausgabe, 23.8.2004)