Auch in Österreich kann die Politik nicht mehr länger so tun, als gäbe es außer Ehe und Familie keine anderen Modelle menschlichen Zusammenlebens. Höchste Zeit für einen Kurswechsel - meint einer der Initiatoren der VP-Debatte über die Homo-Ehe.
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Ehen, Familien, Patchworkfamilien, Alleinerzieher/innen, heterosexuelle Lebensgemeinschaften, homosexuelle Lebensgemeinschaften, Singles . . . - es ist nicht zu übersehen: Die Palette an Entscheidungsmöglichkeiten für eine Lebensform war noch nie so vielgestaltig wie heute. Trotz dieser Vielfalt ist in Österreich (im Gegensatz zu anderen Ländern) das Bild von Lebensgemeinschaften immer noch ideologisch belastet und nur jene Form vom Staat mit allen Rechten ausgestattet, die sich Ehe und Familie nennt. Für diese - nennen wir sie "staatlich anerkannte" - Lebensform sieht die Politik im Land eine Vielzahl von Angeboten vor, für alle anderen Modelle nahezu gar keine. Ich frage: Ist das sozial gerecht? Entspricht das dem Gebot der Menschlichkeit? Denn immerhin sind alle diese Menschen Staatsbürger/innen mit allen Rechten und Pflichten - also Menschen, die in unserem Land nicht nur leben, sondern auch arbeiten, Verantwortung tragen, Steuern zahlen und vieles mehr. Deshalb ist die aktuelle Debatte über die rechtliche Diskriminierung homosexueller Partnerschaften höchst angebracht. Ich möchte diese Diskussion allerdings um einen Aspekt erweitern, der mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig erscheint: Müsste eine Konsequenz dieser Diskussion nicht auch sein, endlich einmal eine ehrliche, komplexe Analyse unserer Gesellschaft zu erarbeiten und wirklich die Frage zu stellen, wie wir heute leben? Müssen wir uns nicht eingestehen, dass dogmatische Positionen vielfach überholt sind und einer moderneren, liberaleren Auffassung menschlichen Zusammenlebens weichen sollten, wie es außerhalb von Ehe und Familie ja längst Realität ist, vom Gesetzgeber aber einfach nicht wahrgenommen werden will? Beschämende Ignoranz Die ideologischen Einseitigkeiten des katholisch geprägten Österreich der Nachkriegszeit, insbesondere die Tradition des Wegschauens, sollten längst auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt sein. Umso beschämender, dass wir daran immer noch leiden, indem sich Entscheidungsträger hinter ideologisch motivierten Gesetzen verschanzen, anstatt neue Regelungen zu treffen, die dem Bild unserer Gesellschaft entsprechen und die sozial und ökonomisch gerecht sind. Die Entscheidungsträger sollten nicht in der Defensive verharren, indem sie sich auf bestehende Gesetze versteifen, sondern der Menschlichkeit den Vorrang geben! Diese Forderung gilt selbstverständlich für alle oben angesprochenen Lebensformen, für heterosexuelle wie für homosexuelle. Dass es für alle diese Partnerschaften eine Regelung hinsichtlich gesetzlicher Akzeptanz (eingetragene Partnerschaften!) geben muss, steht für mich außer Streit! Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Vergleich mit der Kirche, bzw. die Frage, wie die Kirchenführung mit den Menschen umgeht, die in ihrer Gemeinschaft leben. Während die katholische Kirche eine Wiederverheiratung Geschiedener nicht akzeptiert bzw. geschiedene Wiederverheiratete vom Sakrament der Eucharistie ausschließt, sind die evangelische Kirche wie auch die orthodoxen Kirchen der Auffassung, dass es um das "Wie" des Zusammenlebens geht, dass das Leben und das Zusammenleben von Menschen ein Prozess ist, in dem es viele Stationen gibt: gewinnen, verlieren, scheitern, neu anfangen, . . . Was auch immer passiert, die jeweilige Kirche steht zu ihrem Mitglied - und nimmt sich seiner je nach Lebensabschnitt wechselnden Fragen und Probleme an. Diese Vorstellung von der Prozesshaftigkeit menschlichen Zusammenlebens empfinde ich als sehr wertvoll, weil sie persönliche menschliche Entscheidungen, die aus dem Herzen heraus getroffen werden, für richtig befindet (deshalb ist in diesen Kirchen eine Wiederverheiratung mit Segen der Kirche möglich). Vielfalt fördern Würden wir diese Idee des Prozesses auf die beschriebenen Lebensformen anwenden, also den tatsächlichen gesellschaftlichen Strukturen Rechnung tragen, würde dies vielen Menschen in Österreich rechtlich neue Rahmenbedingungen bescheren, die ihnen ein würdevolleres Leben garantieren könnten. Ein Leben, das nicht aufgrund persönlicher Entscheidungen für eine Lebensform automatisch eines erster oder zweiter Klasse ist. - Dies in Angriff zu nehmen, würde allen politischen Verantwortungsträgern gut anstehen! Und eine christlich- soziale Politik sollte sich erst recht um diese menschlichen Werte annehmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.8. 2004)