Die profane Betrachtung macht die Grasser-Idee (die von nicht wenigen Industriellen gut geheißen wird) aber nicht besser. Bernd Marin, Leiter des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, nennt die Diskussion darüber, ob Feiertage abzuschaffen sind oder nicht, schlicht: "Unfug". Auch die angesichts deutscher Vorstöße geforderte Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich, um Stückkosten in der Industrie zu senken, hält er für nicht besonders durchdacht. "Mehr arbeiten macht nicht automatisch reicher. Lange arbeiten ist für sich noch keine Tugend", sagte er am Donnerstag vor Journalisten.
"Systemfremd"
Zum einen sei die Forderung ganz und gar systemfremd: "Etwas für nichts gibt's in der Wirtschaft nicht." Zum anderen würden sämtliche Kostenvorteile durch Demoralisierung und verlängerte Krankenstände wieder aufgefressen, ist Marin überzeugt. Er plädiert hingegen für Arbeitszeitverknappung. In Kombination mit flexibleren Arbeitszeitmodellen wäre diese "eine Produktivitätspeitsche". "Hier liegen noch Goldadern", so der Sozialexperte. Das Stichwort für alle Beteiligten sollte "Flexicurity, wie in Holland" sein - flexible Modelle bei höchstmöglicher Sicherheit für Arbeitnehmer.
Erfolgreiche Beispiele finde man in der Automobilindustrie - etwa beim BMW-Motorenwerk in Steyr. Dort könne man 18 Schichten pro Woche fahren, trotzdem haben Mitarbeiter um bis zu fünf Wochen zusätzlich Freizeit im Jahr.
Kulturrevolution
Marin fordert weiters eine "ehrliche Viertagewoche", denn: "Eine verschlampte De-facto-Viertagewoche, über das Jahr gerechnet, haben wir ja schon." Dabei müssten die freien Tage nicht unbedingt auf das Wochenende fallen, sondern rollieren (Zuschläge für das Wochenende sollten aber "in Europa aus Tradition" weiter gezahlt werden, ebenso wie für Nachtschichten, Schwerarbeit und Arbeit auf Abruf). Diese "Kulturrevolution" sollte, so Marin, mit höchstmöglicher Wahlarbeitszeit und Lebensarbeitszeitkonten gekoppelt werden.
Erhard Fürst, Chefökonom der Industriellenvereinigung, sagt zum STANDARD, er sei "grundsätzlich mit dem Herrn Professor Marin" einverstanden. Sein Haus habe keine generelle Arbeitszeitverlängerung gefordert, sondern "Flexibilität je nach dem Bedürfnis der einzelnen Unternehmen. Und eine Arbeitszeitverlängerung wäre nur eine Form der Flexibilisierung bei einzelnen Firmen. Aber die wären in der Minderheit."
Möglichkeiten zur Flexibilisierung