Bild nicht mehr verfügbar.

Von ein paar nicht sorgfältig genug weggeschminkten Schweißtropfen abgesehen, war es ein hervorragender Auftritt, der zeigte, dass Kerry die Statur eines Präsidenten hat.

Foto: AP/Stephan Savoia
In den USA ist der Nominierungskonvent der Demokratischen Partei am Donnerstag zu Ende gegangen, aber der Wahlkampf, mit dem John Kerry George W. Bush aus dem Sattel heben will, hat eben erst angefangen. Wichtig war der Parteitag als mediale Plattform für einen Kandidaten, der der US-Öffentlichkeit viel weniger bekannt ist als Bush, und wichtig war er als Indikator für die Stimmungslage unter den Demokraten. Und die haben sich selten nach außen hin so geschlossen gegeben wie in Boston - obwohl mit dem Irakkrieg ein Problem mit einem riesigen Spaltpotenzial ständig im Hintergrund lauert. Lange Zeit galt der Irakkriegsgegner Howard Dean als chancenreichster Präsidentschaftskandidat, ehe er vom Kriegsbefürworter Kerry in den Vorwahlen besiegt wurde. Die Geschlossenheit der Demokraten ist dabei weniger das Verdienst von John Kerry als vielmehr das von George W. Bush. Der Zorn über die unter dubiosen Umständen im Jahr 2000 verlorene Wahl ist immer noch groß. Die brachialen Antiterrormaßnahmen der Regierung, die tief in den Alltag der Amerikaner eingreifen, und der umstrittene Angriff auf den Irak haben ein Übriges zur Polarisierung getan. Die untergriffige Anti-Kerry-Berichterstattung des Murdoch-Senders Fox News ist ein ebenso symptomatisches Zeichen dieser Zeit wie die stapelweise in den Buchhandlungen aufliegenden Bush- Hassbücher oder der exorbitante Erfolg von Michael Moores Anti-Bush-Dokumentation "Fahrenheit 9/11", die bis jetzt schon mehr als hundert Millionen Dollar eingespielt hat. Vor dem Hintergrund dieser landesweiten Spaltung und einem geschrumpften Segment von Wechselwählern hatte Kerry mit ein paar speziellen zusätzlichen Problemen zu kämpfen, die vor allem sein öffentliches Image betreffen. Erstens war weit gehend unbekannt, wofür Kerry genau steht - ein Nachteil gegenüber dem amtierenden Präsidenten: Dessen Politik geht zwar auch vielen US-Bürgern gegen den Strich, aber wenigstens kann man halbwegs einschätzen, was man von Bush zu erwarten hat. Kerry wirkte bisher bei seinen Auftritten häufig entrückt und hölzern, während es andererseits vielen Amerikanern leicht fällt, das simple Gebaren von Bush als "Volksnähe" zu interpretieren. Vor allem aber ist es der republikanischen Wahlkampfstrategie mit einer Millionen Dollar teuren "Negativkampagne" gelungen, Kerry den Nimbus des prinzipienlosen, in Sicherheitsfragen überforderten Liberalen umzuhängen. In dieses Horn stießen viele Republikaner gleich am Freitag wieder mit vereinten Kräften. Dennoch hat Kerry in Boston viele Klischeevorstellungen über seine Person entkräften können. Der Mann, der da vor den jubelnden Parteitagsdelegierten eine neue Politik für Amerika versprach, war weder linkisch noch geistesabwesend, und schon gar nicht wirkte er wie der wankelmütige "Flipflopper", als den ihn die Republikaner gern sehen. Seine Kompetenz und Entschlossenheit signalisierte er dabei auf der körpersprachlichen Ebene noch viel mehr als auf der verbalen. Von ein paar nicht sorgfältig genug weggeschminkten Schweißtropfen abgesehen, war es ein hervorragender Auftritt, ein Auftritt, der zeigte, dass Kerry die Statur eines Präsidenten hat. Für Bushs Strategen muss besonders alarmierend sein, dass Kerry im Finish seiner Wahlkämpfe meist noch stark zulegen konnte. Für die drei TV-Duelle mit dem Präsidenten ist das eine ernste Herausforderung. Wirklich seriöse Aussagen über den Wahlausgang lassen sich zu diesem Zeitpunkt nicht treffen. Dafür sorgen die komplizierte Wahlgeografie der Vereinigten Staaten, bei der es jederzeit zu wesentlichen Verschiebungen kommen kann, die Unwägbarkeiten des Irakkriegs und vor allem die Möglichkeit eines Terroranschlages in den USA selbst, nach dem sich die politische Lage in in ganz neuem Licht darstellen würde. Eines lässt sich freilich sagen: Dass die Demokraten nach ihrem Parteitag von Boston mit ihrem Kandidaten weit besser aufgestellt sind als vorher. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.7./1.8.2004)