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Die Welt des Geldes, in Bregenz auch im übertragenen Sinn: George Typins hoch aufragende "West-Side-Story"-Bühne vereinigt in sich 140 Tonnen Stahl

Foto: AP/Dietmar Stiplovsek
Bregenz - Bregenz, ein Idyll: Sanft plätschert die Welle, leise säuselt das Schilfblatt, zwitschert das Singvögelein im nahen Gebüsch. Bregenz, ein Sommergewitter: Seit 1946 sind die Bregenzer Festspiele und die Wiener Symphoniker einträchtig miteinander verbunden; mit der Umwidmung des Theater an der Wien als Opernbühne plant nun aber auch der dortige Intendant Roland Geyer, im Sommer mit dem Wiener Orchester anzubandeln.

Für 2007 und 2008, so Geyer zum STANDARD, sind Opernprojekte mit den Symphonikern fixiert - Projekte, die aber zusammen mit der Bregenzer Festspielleitung koordiniert worden seien und die die Arbeit des Orchesters am Bodensee nicht einschränken sollten. David Pountney dachte nichtsdestotrotz gestern in den Vorarlberger Nachrichten öffentlich die Möglichkeit an, auch andere Orchester in Bregenz zu beschäftigen, bestä- tigte aber gegenüber dem STANDARD sein Wohlwollen gegenüber dem langjährigen musikalischen Partner und sprach von konkreten Planungen mit den Wienern bis 2008.

Dass selbst hehrste Liebe an unüberwindbaren Gegensätzlichkeiten scheitern kann, lehrte ja menetekelhaft die Seeproduktion dieses Jahres, Leonard Bernsteins West Side Story. Immerhin aber verbindet dort die Musik auf bezaubernde Weise Unterschiedlichstes aller Art: Strenges Fugato und pathospralle Schnulze, leichtfüßiger Jazz, feurige Latino-Rhythmen und symphonische Süffigkeit sagen hier freudig ja zueinander.

Exakt 205.202 Gäste verfolgten im letzten Jahr Bernsteins fabelhaftes Spiel um Liebe und Leid, Krampf und Kampf des jugendlichen Unterschichten-Amerikas: Das hat den Geldsack ziemlich dick gefüllt, mit dem Neo-Intendant David Pountney heuer die interessante "Kunst aus der Zeit"-Schiene finanziert (erstes Highlight hier: die österreichische Erstaufführung von Harrison Birtwistles Oper The Story of Io am Sonntag).

Zerdellte Bühnenwelt

Was sahen die Zuschauer am See letztes Jahr, was sehen sie heuer? Vorrangig mal das verwegen zerdellte, gewichtige Bühnenbildnis George Tsypins: 140 Tonnen Stahl stemmen sich linker Hand zu einem schräg stehenden Skyscraper auf; von hinten rechts dreht sich dann und wann eine würfelförmige Backsteinruine in die gläsern-glitzerige Welt des Geldes.

Blau-weiß bekleidete Jets fetzen sich in wirbeligen Tanzszenen mit den rot-schwarzen Sharks (Regie: Francesca Zambello; Choreografie: Richard Wherlock, Kostüme: Marie Jeanne Lecca); dieses Jahr taten sie es noch deutlich frischer, frecher, packender als bei der Premiere 2003: eine Freude. Andreas Wolfram gibt einen vor Energie berstender Bernardo, Katja Reichert eine mädchenhafte, etwas zu harmlose Maria, Jesper Tydén hat - wie an dieser Stelle schon erwähnt - eine der feinsten, strahlendsten, schönsten Musicalstimme hienieden und produziert als Tony also uneingeschränktes vokales Glück.

Via Video-Screen können die Zuschauer heuer erstmals die Wiener Symphoniker in ihrem kleinen Kabuff im Bauch der Seebühne werken sehen; hören konnten die Premierengäste, wie sich die Musiker unter der Leitung Wayne Marshalls nach einem eher wackeligen Beginn vor allem in den lyrischen Passagen bewiesen. 14.000 Hände applaudierten freudig, nach den heftigen emotionalen Gewittern auf der Bühne schwenkte die Stimmung um zum freudvollen Idyll. (DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.7.2004)