Es gibt ein Wort in Norwegen, das praktisch den nationalen Stillstand beschreibt: Fellesferie. Ein Land macht Sommerferien. Auf einmal gibt es genug Parkplätze in den Städten, die Staus zur Rush-Hour bleiben aus. Oslo versinkt drei Wochen lang in einer Art Sommerschlaf. Und scheinbar einfache Erledigungen - etwa ein Stück Rohr für den Küchenabfluss zu finden - kommen dem Erklimmen eines Eisbergs gleich.

In der Regel beginnen die "Fellesferie" in der zweiten Juliwoche. Ein offizielles Datum gibt es aber nicht. Die Norweger wissen offenbar intuitiv, wann der kollektive Urlaub angesagt ist. Nichteingeweihte werden davon überrascht. So kann es durchaus vorkommen, dass man an einem Montagmorgen zur Arbeit fährt und die Straßen leer, die Büros ausgestorben und die Läden geschlossen sind. "Vielleicht wurde die Stadt evakuiert, und ich bin der einzige, der davon nichts mitbekommen hat", mag sich der verblüffte Zugezogene denken. Irrtum: Die "Fellesferie" haben begonnen.

Wie kam es zu diesem Sommerphänomen?

Die norwegische Industrievereinigung sollte es wissen. "Ich habe den richtigen Mann für Sie, er weiß alles über 'Fellesferie'", sagt Sprecher Finn Langeland und nennt Namen und Telefonnummer des Experten. Doch die Sache hat einen Haken. Der Fachmann für "Fellesferie" macht das, was die meisten seiner Landsleute im Juli tun: Urlaub. "Tut mir leid", sagt Langeland. "Sonst haben wir leider niemanden."

Die Recherche geht weiter. Das Statistikamt soll eine Antwort auf die Frage liefern, wie viele Norweger wann Ferien machen. Schließlich zählt die Behörde alles von Schafen bis hin zu Ölfässern. Die Zentrale verbindet zu einem der wenigen Mitarbeiter, die nicht in Urlaub sind. Doch am anderen Ende der Leitung meldet sich lediglich der Anrufbeantworter. Der Mitarbeiter ist nicht im Büro. Wahrscheinlich leistet er Feldarbeit und zählt die Urlauber. Oder er macht Besorgungen, denn wer ruft schon während der "Fellesferie" an?

Zum Glück macht das Internet keine Ferien

Schließlich hilft das Internet weiter, das zum Glück keine Ferien kennt. Laut Web-Site des Statistikamtes machen rund 65 Prozent der Norweger im Sommer Urlaub. Und viele wollen Sonne im Ausland tanken, insbesondere wenn es so regnerisch ist wie in diesem Jahr. Das allerdings könnte sich - rein logistisch - als schwierig erweisen. Die Fluggesellschaft SAS musste an einem einzigen Wochenende im Juli 45 ihrer 600 innereuropäischen Flüge streichen: Auch das Kabinenpersonal machte Urlaub. Die kleine Fluggesellschaft Golden Air, die von Oslo nach Stord an der Westküste fliegt, lässt ihre Flugzeuge gleich am Boden - und macht "Fellesferie".

Pech, wenn ausgerechnet während dieser Urlaubszeit der Wasserhahn tropft. Die Suche nach einer Dichtung kann zur Odyssee werden. Und die Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, wenn auch an der Tür des fünften Fachgeschäfts das gleiche Schild hängt: "Betriebsferien".

Da drängt sich die Frage auf, wer eigentlich das Land regiert, wenn der Ministerpräsident und seine Kabinettsmitglieder Ferien machen. Der Regierungssprecher kann nicht weiter helfen - er hat Urlaub. Sein Stellvertreter ebenso. Und die Pressestelle? "Fellesferie"... (APA/red)