Bayreuth – Parsifal – jedes Mal ein Ereignis. Heuer allerdings liegt eine besondere Spannung in der Luft, dank Christoph Schlingensief. Als der sich zwischendurch mal krankmeldete, wurde nicht ohne schadenfrohen Beigeschmack das große Scheitern an die Wand gemalt. Aus der Nähe betrachtet war aber eine Auster der Übeltäter. Denn Schlingensief hatte für seinen Parsifal auch in Namibia, in Kolmanskop, Eindrücke "gesammelt".

Natürlich hat der Filmemacher und Theatermann auch seine Probleme mit den Arbeitsabläufen der Oper, die doch wenig Zeit lasse, um sich kennen zu lernen. Mit der Musik hat er kein Problem – "nur mit den Unterstellungen der Außenwelt, die verlangt, dass jetzt die Provokation kommt. Etwa mit einem Transparent ,Tötet Wolfgang Wagner‘."

Doch scheint er gerade für den große Sympathie zu hegen. Es werde da zwar auch losgebrüllt, aber der Druck, der auf dem Festspielchef laste, und die Art, wie er das Ganze "hochgehalten und durchfinanziert" habe, sei eine Riesenleistung. Man glaubt ihm, wenn er sagt, dass es ihn Kraft gekostet habe, erst mal klar zu machen, "dass wir nicht bösartig tätig sind, um das Haus als Nazihochburg zu überführen, oder dass wir nicht die Oper zerstören wollen."

Die Kraftfelder

Von der technischen Abteilung ist Schlingensief offenbar beeindruckt, hat er doch noch vor drei Monaten das gesamte Bühnenkonzept umgeworfen. "In der Beziehung lasse ich nichts auf den Hügel kommen." Und Parsifal? "Manche werden sagen, das sei nicht Parsifal!" Aber er suche gar nicht "nach der Bildebene, die die Sache zum Knall führt, sondern nach Polen und Kraftfeldern, die in der Musik, den Menschen und dem Organismus Bayreuth liegen."

Man liegt keineswegs falsch, wenn man Schlingensiefs Arbeiten wie Atta-Atta, Bambiland und Atta-Bambi- Pornoland als Bewegung Richtung Parsifal sieht. Schlingensief nähert sich der Oper auf ganz eigene Weise. In den letzten zwölf Monaten haben sich ihm die Figuren, die man erst mal als "nur eine Person" sieht, langsam gezeigt. Vom Sohn, der sich an die Eltern nicht erinnert, vom Maler, der sich missverstanden fühlt und nach der Wunde sucht, oder auch einem Klingsor, der sich selber kastriert.

"Bis zwei Wochen vor dem Beginn hier habe ich immer noch mit einem Anruf gerechnet: ,Wären Sie bereit, Platz zu machen für Katharina oder irgendjemand anderen?‘" Seine Erfahrung mit Klingsor fiel in eine große Krise vor vier Monaten (wie bei Lars von Trier), bei der "ich merkte, dass ich mich zu verleugnen begann. Diese ,Superkrise‘, bei der ich schon aussteigen wollte", brachte dann auch die Lösung:

"Ich bin vom kastrierten Klingsor darauf gekommen, dass ich auch Kundry bin. Diese Frau, die sich den Mist immer wieder anhören muss und der man auch noch Aufgaben gibt. Wenn keiner mehr kann, dann muss die ran. Ich soll doch Bayreuth zerstören, provozieren, nicht provozieren, scheitern, die Oper retten und möglichst dabei lächeln."

Dem Dirigenten Pierre Boulez dankt er dafür, "dass er an kritischen Stellen vermittelt hat". Man merke langsam, dass die Sänger in der Musik etwas trage und im Zusammenwirken Organisches passiere. Manchmal werde man sogar auch etwas "von der allerersten Wagner-Inszenierung entdecken. Und das ist doch schöner, als einen Skandal von 1976 nachzuspielen. Das Schöne an diesem Abend ist doch, dass es mir wie ein Rätsel vorkommt. Ein Rätsel auf dem Weg zum Tod, und der ist dann die Krönung."

Da man es bei Schlingensief nie weiß, liegt die Frage nahe, ob er selbst mitspielen wird. "Nein, ich spiele nicht mit. Und wenn doch, dann so, dass man es nicht merkt." (jola/DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2004)