Ein klassischer Fall, wie die Republik mit Raubkunst umging: Die Altarflügel mit Stiftern von Maerten van Heemskerck wurden mit einem Ausfuhrverbot belegt. Richard Neumann, der in Havanna im Exil lebte, erhielt als Abfindung 3000 Dollar und ein Gemälde von Goosen van der Wexden.

Foto: Der STANDARD/KHM
Wien - 1991 hatte Herbert Haupt, Archivar am Kunsthistorischen Museum, im Jubiläumsband Die Geschichte des Hauses am Ring nur lapidar festgehalten: "Die Baronesse Clarisse de Rothschild widmete dem Museum 1947/48 eine Anzahl bedeutender Gemälde zum Gedächtnis an ihren verstorbenen Gatten Alphonse." Tatsächlich aber waren der Witwe die in der NS-Zeit enteigneten Kunstwerke abgepresst worden: Der Fall, im Februar 1998 vom STANDARD recherchiert, war mit ein Grund für die Provenienzforschung in den Bundesmuseen und das neue Kunstrückgabegesetz.

Mit den KHM-Erwerbungen setzte sich sogleich der Hausarchivar auseinander: Bereits im Herbst 1998 lieferte Haupt seinen Bericht ab. In diesem werden allerdings nur die "Veränderungen im Inventarbestand" bis 1955 abgehandelt, was für Kritik sorgte, weil es auch danach zu bedenklichen Erwerbungen gekommen sein kann. Dies wurde von der Rückgabekommission 2002 bestätigt: Es habe sich herausgestellt, dass entzogenes Kunstgut "vielfach auch über die vorerst als Zeithorizont fixierten 1960er-Jahre hinaus" in die Museen gekommen sei. Einen ergänzenden Bericht hat Haupt aber nie vorgelegt.

Und seine "Sachverhaltsdarstellung" ist bis heute nicht öffentlich zugänglich: Anfangs wurde sie unter Verschluss gehalten, wenig später folgte die Ankündigung einer Publikation. Bei der blieb es. Franz Pichorner, Prokurist des KHM, macht finanzielle Gründe dafür verantwortlich. Doch das Typoskript wurde nicht einmal ins Netz gestellt.

In seinem Bericht geht Herbert Haupt auch auf zwei Altarflügel Maerten van Heemskercks ein, die im Oktober 1938 mit "Mitteln der Dienststelle des Reichsministers Dr. Seyss-Inquart" erworben wurden. Er hält den Besitz kategorisch für "unbedenklich".

Die Restitutionsforscherin Sophie Lillie hingegen, die im Vorjahr ein Handbuch jüdischer Kunstsammlungen herausbrachte (Was einmal war, Czernin Verlag), widerspricht. Die Altarflügel hatten dem Industriellen Richard Neumann gehört, der nach Havanna flüchtete. Dessen Villa in der Hasenauerstraße 30 "arisierte" Daisy Prinzessin Fürstenberg, mehrere Kunstwerke wurden "sichergestellt": Zwei Kremser Schmidts gingen ans Städtische Museum Krems, das "hoch entzückt" war und im Dankesbrief sogleich um ein weiteres Gemälde "aus dem Besitz des Zuckerbondi" (gemeint ist Oscar Bondy) bat, die restlichen ins KHM.

Laut Haupt erhielt Neumanns Tochter 18.000 Reichsmark für die Altarflügel. Das KHM bestand daher nach dem Krieg auf der Rechtmäßigkeit der Erwerbung, verlor aber den Prozess (das Geld hatte die NS-Bürokratie einbehalten). 1953 kam es zur Einigung: Neumann erhielt 3000 Dollar und ein Gemälde von Goosen van der Wexden als Ersatz. Lillie betont hingegen, dass Neumann gar keine andere Wahl gehabt habe, weil das Werk mit einem Ausfuhrverbot belegt worden war.

Der Fall ist seit 1998 bekannt. Eine Stellungnahme der Rückgabekommission gibt es jedoch nicht. Er sei noch nicht ausrecherchiert, meint Ernst Bacher, der Leiter - was dazu führt, dass auch die Stadt Krems die Sache in die Länge zieht: 2002 gab sie dem Anwalt Alfred Noll, der den Neumann-Erben vertritt, bloß bekannt, dass die Vorgangsweise erst geklärt werden müsse. Nolls Kommentar nach eineinhalb Jahren des Wartens: "Die Gemeinden sind bis heute in völliger Unkenntnis darüber, was sie mit Restitutionsansprüchen tun sollen. Es herrscht völlige Hilflosigkeit."

"Vorbildlich, korrekt"

Doch es geht auch anders: Im Zuge ihrer Forschungen entdeckte Lillie, dass über die Galerie St. Lukas eine Ansicht von Lübeck von Cornelius Springer an das dortige Stadtmuseum ging. Das Bild hatte dem Bankier Viktor Ephrussi gehört, der 1945 im britischen Exil starb. Die Hansestadt, von Lillie in Kenntnis gesetzt, erklärte Ende Juni, die Ansicht zu restituieren. "Es war so unkompliziert, vorbildlich und korrekt", erzählt Lillie. "Obwohl es in Deutschland gar kein Restitutionsgesetz gibt, sondern nur eine Willenserklärung, in moralisch bedenklichen Fällen rückzustellen."

Und es gibt noch einen weiteren Erfolg: Der Großgrundbesitzer Wilhelm Löw flüchtete nach London, sein Eigentum wurde beschlagnahmt, das Mobiliar vom Dorotheum ab Haus versteigert. Das wertvollste Los, ein Kinderbildnis von Ferdinand Georg Waldmüller, wurde fürs "Führermuseum" in Linz "erworben". Nach dem Krieg kam es in den Central Collecting Point nach München, von dort zur Oberfinanzdirektion nach Berlin, und diese gab es als "Leihgabe der Bundesrepublik" an das Kurpfälzische Museum in Heidelberg weiter. Dass es sich bei dem Porträt um Raubkunst handelt, war logisch: Es wurde auf www.lostart.de veröffentlicht, wo Lillie es entdeckte. Die Erben meldeten sich und erhielten das Bild zurück. Völlig unbürokratisch. (Thomas Trenkler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 7. 2004)