Auseinander laufende Tanztraditionen, bei Akram Khan unter einen Hut gebracht.

Foto: Chapman /ImPulsTanz
Sie prallen aufeinander, zusammen gehen sie nicht. Die beiden Tanzstile, die Akram Khan in seinen viel gelobten Abenden vereint, kommen aus gänzlich unterschiedlichen Traditionen. Der Kathak ist einer der sechs klassischen bengalischen Tänze, mit sehr komplizierten rhythmischen Strukturen und viel Platz für Improvisation. Im zeitgenössischen Tanz westlicher Prägung herrschen dagegen weitaus spontanere Regeln.

"Für mich", sagt Akram Khan, "haben die beiden Tanzstile dennoch einiges gemein: Bei Kathak geht es im Unterschied zu anderen klassischen indischen Tänzen um den Menschen, um seine Fehler und Unzulänglichkeiten." Seit einigen Jahren arbeitet der in London lebende Tänzer und Choreograf mit Wurzeln in Bangladesch (geb. 1974) bereits an einer eigenwilligen Fusion oder, mit den Worten Akram Khans gesagt, "Konfusion" der Stile. "Auch wenn die Mischung intellektuell funktioniert, der Körper macht dann doch etwas Eigenes. Seine Verwirrung ist es, die mich interessiert."

Waren frühere Arbeiten tief in der Welt hinduistischer Mythen verankert, ist es bei dem nun bei ImPulsTanz gezeigten Stück für sieben Tänzer (darunter Khan selbst) und drei Musiker ein durchaus alltägliches Setting: Ma, so der Name des erst kürzlich in Singapur uraufgeführten Stücks, kreist um den Geburtswunsch einer Frau. "Das Wort Ma bedeutet sowohl Mutter als auch Erde, das hat mich inspiriert." Hanif Kureishi (Mein wunderbarer Waschsalon, Intimacy) schrieb die Texte, zusammen mit seiner internationalen Tanztruppe entwickelte Khan die Choreografie.

Natürlich finden auch diesmal wieder viele symbolisch aufgeladene Versatzstücke Platz. Mit einem Sänger, der kopfunter im Sufi-Stil eine Weise singt, beginnt das Stück, "heilige Samen", "stumme Glocken" oder "brennende Musik" werden zitiert. "Vieles stammt aus Geschichten meiner Mutter, vieles brachten die Tänzer ein."

Das Kathak-Gefühl

Diese kommen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt, von Kathak hatten viele von ihnen keine Ahnung. "Sie bekommen auch keinen Kathak-Crashkurs zu Beginn ihres Engagements", erklärt Khan. "Je länger sie in der Gruppe sind, umso wichtiger ist es aber, dass sie ein Gefühl für den Kathak entwickeln." Angesichts der erforderlichen Körperbeherrschung ist das leichter gesagt als getan.

Khan lernte bereits in seiner Kindheit indische Tänze, erst unter der Obhut seiner Mutter bengalischen Volkstanz, ab acht klassischen indischen Tanz bei einem Guru. Den Weg zum westlichen Tanz fand er erst viel später, mit 21, als er sich auf der Universität durch Zufall in eine Klasse für zeitgenössischen Tanz einschrieb. "Der zeitgenössische Tanz hat dem Kathak ganz andere Dimensionen eröffnet: also Kathak nicht nur stehend tanzen, sondern auf dem Boden, in der Luft, auf verschiedenen Ebenen."

An Energie büßt Akram Khans moderne Kathak-Version trotzdem nichts ein. Und natürlich auch nichts von seiner rauschhaften Geschwindigkeit. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2004)