Georg Totsching, einer der Top-Stars dieser Tour.

Wien/Valréas - "Einfach den Tag genossen." Nicht mehr und nicht weniger hat Georg Totschnig gestern getan, da die Veranstalter der Tour de France dem Feld tatsächlich Ruhe gönnten. Wenn ein Radfahrer wie Totschnig "den Tag genießt", dann lässt er sich die Beine länger massieren und beim Essen mehr Zeit als sonst, dann geht sich aber schon auch "ein zweistündiges Training" aus, das wäre ja noch schöner, ein Tag ganz ohne Radfahren.

Heute führt die 15. Etappe über 180,5 Kilometer von Valréas nach Villard-de-Lans, das dreißig Kilometer südlich von Grenoble liegt. Nicht weniger als sieben Berge stehen im Weg, der Col des Limouches und der Col de l'Echarasson, spätestens aber der Col de Chalimont werden das Feld in seine Einzelteile zerlegen. Und da wird sich weisen, ob der 33-jährige Zillertaler Totschnig wie in den Pyrenäen mit den Besten mit- und seinen sechsten Gesamtplatz halten kann. An eine Verbesserung denkt er nicht ernsthaft, und einen Stockerlplatz am Ende der Tour (Sonntag, Paris) tut er als Hirngespinst von Unkundigen ab. "Ich bin schon zu lange dabei, um mich in Träume zu versteigern. Wenn ich Sechster bleiben kann, wäre das ein toller Erfolg."

Während Lance Armstrong, der dem Franzosen Thomas Voeckler heute das Gelbe Trikot ausziehen dürfte und den sechsten Toursieg in Serie anstrebt, seine US-Postal-Mannschaft zu Recht als "Dream Team" lobt, ist Totschnig in den Bergen weitgehend auf sich allein gestellt. Seine Gerolsteiner-Equipe ist schon vor und auch während der Tour einiger guter Bergfahrer verlustig gegangen, neun sind in Lüttich losgeradelt, höchstens sechs werden Paris sehen. "Am Ende muss ich sowieso selbst schauen, dass ich mit Armstrong und den anderen halbwegs mithalte", sagt der 33-Jährige, "da kommt's auf meine Beine an. Blöd ist's nur, wenn man in einem ungünstigen Moment einen Defekt hat, und es ist kein Teamkollege da, um zu helfen."

Der 15. wird traditionell die 16. Etappe folgen, die 15,5 Kilometer am Mittwoch haben es in sich, sie führen von Bourg d'Oisans (720 m Seehöhe) auf die Alpe d'Huez (1850 m), jeder Radfahrer ist auf sich allein gestellt, der Gegner ist die Uhr. Totschnig meint, er sei schon ausgelaugt, habe aber auch Selbstvertrauen getankt. Spannend wird nicht zuletzt der Vergleich mit dem Deutschen Jan Ullrich, der augenblicklich relativ knapp hinter Totschnig an achter Stelle liegt. Der Tiroler nennt dieses Duell "nichts Besonderes", auch wenn er selbst jahrelang für Ullrich gebuckelt und nun die Chance hat, seinem ehemaligen Kapitän das Hinterrad zu zeigen.


In einer Tour bergauf

Totschnig bestreitet seine sechste Tour de France, er hat sich quasi ständig verbessert, vom 37. Platz 1995 über den 34. (1997), den 27. (1998), den 20. (1999) bis zum 12., den er im Vorjahr belegte, als das Team Gerolsteiner erstmals mit von der Tour-Partie war. In der Königsetappe des Giro d'Italia belegte er einmal einen zweiten Platz, heuer gewann er die Königsetappe der Tour de Suisse, am Samstag war er in den Pyrenäen Dritter hinter Armstrong und dem Italiener Ivan Basso. "Die Alpen", sagt er, "gefallen mir fast besser als die Pyrenäen. Die Steigungen sind wohl ähnlich und genauso brutal, aber die Straßen sind besser, und ich hab' mehr Fans, die am Straßenrand stehen. Von Tirol ist's gar nicht so weit hierher, ich hoffe schon, dass mich einige anfeuern kommen." (Fritz Neumann, DER STANDARD Printausgabe 20. Juli 2004)