Berlin/Stuttgart - Politik und Gewerkschaften in Deutschland haben angesichts der Massenproteste bei DaimlerChrysler vor einem neuen Grundsatzkonflikt um die Arbeitszeit gewarnt. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat die Art der Auseinandersetzung zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat bei DaimlerChrysler als Beispiel für den "Verlust an Kultur" bezeichnet. In einem Gespräch mit dem Nachrichtensender N-24 sagte Schröder am Freitag, ohne sich einmischen zu wollen, sei es mit Sicherheit besser, wenn Betriebsrat und Geschäftsführung des Automobilkonzern gemeinsam nach Lösungen suchten.

"Ich halte nichts von der ideologisierten Debatte über Arbeitszeit", sagte der Kanzler. Die sei alles "Verbandsgegackere". Der zweite Vorsitzende der IG Metall, Bertold Huber, warf DaimlerChrysler vor, mit den Sparplänen die soziale und ökonomische Stabilität in Deutschland zu gefährden.

Dinge in Betrieben regeln

Schröder sagte der "Financial Times Deutschland" (Freitagausgabe), er rate dazu, diese Dinge in den Betrieben zu regeln und möglichst wenig darüber zu reden. Der SPD-Politiker wies darauf hin, dass die IG Metall im jüngsten Tarifvertrag weit reichende Öffnungsklauseln vereinbart habe. Für deren Umsetzung seien jetzt Betriebe und Gewerkschaft verantwortlich.

Huber sagte der "Berliner Zeitung": "In einem Klima der Angst und der Unsicherheit kann der Standort Deutschland weder in diesem Jahr noch im kommenden Jahr wirtschaftliche Fahrt aufnehmen." DaimlerChrysler reihe sich in "die unsägliche Reihe der Trittbrettfahrer" ein, die glaubten, dass die Zeit günstig sei, mit der Angst der Arbeitnehmer zu spielen. Die IG Metall werde sich aber "nicht über den Löffel balbieren" lassen.

SPD-Vorsitzende Ute Vogt: Erpressung

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Vogt erklärte, das Gebaren und der Sprachgebrauch von DaimlerChrysler kämen einer Erpressung gleich. Sie sagte im ARD-Morgenmagazin: "500 Mio. von jetzt auf gleich einsparen zu wollen, ohne dass die Konzernspitze mit guten Beispiel vorangeht, das kann nicht sein."

Nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Wolfgang Wiegard, ist es nicht sinnvoll, die Wochenarbeitszeit oder die Urlaubszeit "zwangsweise auszudehnen oder zu verkürzen." Wiegard betonte im Deutschlandradio, zwar werde sich eine "Erweiterung des Arbeitsvolumens pro Jahr" langfristig nicht vermeiden lassen, im Kampf gegen die hohe Erwerbslosigkeit sei eine Arbeitszeitverlängerung jedoch der falsche Weg.

Einführung der 40-Stunden-Woche

Nach Auffassung des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer geht es bei dem deutsch-amerikanischen Autobauer um die Einführung der 40-Stunden-Woche. Zwar plane Mercedes keinen Angriff auf die 35-Stunden-Woche, sondern nur kürze Pausenzeiten: "Aber dadurch wird die Arbeitszeit generell verlängert. Und zwar von einem Unternehmen, das Gewinn macht", erklärte Dudenhöffer der Zeitung "Neue Presse Hannover" zufolge. Bisher durften dies nur Betriebe in Notlagen.

Unterdessen gingen die Proteste gegen die Sparpläne weiter. Im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim legten in der Nacht auf Freitag die Mitarbeiter der Nachtschicht die Arbeit nieder, wie ein Gewerkschaftssprecher mitteilte. Im größten inländischen Pkw-Werk in Sindelfingen wurde für (morgigen) Samstag eine Schicht abgesagt.

Der Konzern droht mit dem Wegfall von 6.000 Stellen im Werk Sindelfingen, falls Einsparungen in Höhe von 500 Mio. Euro nicht erbracht werden. In dem Fall soll die neue C-Klasse in Bremen und Südafrika produziert werden. Die Produktion in Sindelfingen ist für den Konzern wegen höherer Schichtzulagen und anderer Pausenregeln teurer als in Bremen.(APA/dpa/AP)