Bekehrung zum braven Gatten: Leutnant Niki (Reinhard Alessandri) und seine Prinzessin Helene (Miriam Portmann) in der Operette "Walzer- traum" von Oscar Straus.

Foto: Festival/Hofer

Bad Ischl ist trotz seines Wetters eine Reise wert. Das dortige Franz Lehár Festival unter der neuen künstlerischen Leitung von Michael Lakner wartet heuer mit keiner Operette seines Namenspatrons auf, sondern mit einem sehr sehens- und hörenswerten "Walzertraum".

Bad Ischl – In gewisser Hinsicht lässt sich Bad Ischl sehr gut mit New York vergleichen. Hier wie dort musste man irgendwann einmal gewesen sein, um in der Gesellschaft etwas zu gelten. In Bad Ischl zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, in New York zu dessen Ende.

Und ähnlich wie man im Big Apple darüber rätselt, warum rund acht Millionen Menschen ausgerechnet auf einem der klimatisch widerwärtigsten Plätze dieses Planeten wimmeln, kommt man auch im Dauerregen von Bad Ischl aus dem Staunen nicht heraus. Wie, so fragt man sich, konnte einem Komponisten an einem Ort, der besser Bad Pritschl oder gar Pischl heißen könnte, in so arger meteorologischer Bedrängnis jemals auch nur eine einzige Melodie einfallen?

Von Franz Lehár weiß man, dass er sich durch den Gesang eines auf seinem Schreibtisch postierten Kanarienvogels mental in südlichere Zonen beamte. Doch eine ansehnliche Zahl von Franz Lehárs Kollegen brachte in Bad Ischl auch ohne jegliche ornithologische Hilfsmittel Noten zu Papier, die sich durchaus hören lassen können.

So arbeitete der berühmte Giacomo Meyerbeer hier an seinem Krönungsmarsch. Auch Anton Bruckner zog es nach Bad Ischl, ebenso wie Johannes Brahms. Und nicht zuletzt auch Anton von Webern, der als Kapellmeister des Kurtheaters in Bad Ischl seine Passacaglia instrumentierte.

Sie alle kamen in einem dramaturgisch klug programmierten und vom Bruckner-Orchester unter Daniel Carlberg mittelmäßig exekutierten Eröffnungskonzert der diesjährigen Operetten-Festwochen zu Wort. Nach dem Wunsch des frisch gekürten Intendanten, Michael Lakner, sollen diese ab sofort auf den Namen "Lehár Festival Bad Ischl" hören.

Dies, obwohl gerade heuer keine einzige Operette des neuen Namenpatrons gespielt wird. Nicht ohne Grund: Lakner trat sein neues Amt zu einem Zeitpunkt an, zu dem viele Verträge für die diesjährigen Premieren (Walzertraum und Nacht in Venedig) schon fixiert waren. Aber mit einem Gesamtbudget von insgesamt 1,2 Millionen Euro (170.000 Euro an Subventionen schon eingerechnet) bleibt kein Cent für etwaige Vertragsablösen.

So mag man die Eröffnung des ersten Lehár Festivals mit der Oscar-Straus-Operette Walzertraum als das Walten einer ausgleichenden Gerechtigkeit auffassen: Heißt doch die großzügig breite Promenade am Ufer der Traun "Lehár-Promenade", während der schmale Fußweg, dem sie entspringt, die "Oscar-Straus-Promenade" ist. Das Motiv für diese Werkwahl ist jedoch kalendarischer Art, heuer jährt sich der Todestag des Komponisten zum 50. Mal.

Als eigentliches Motiv kann man nun, nach dem Erfolg der samstäglichen Premiere, deren überzeugende künstlerische Qualität anführen. Und dies unter für belangvolle musiktheatralische Produktionen im Grunde unzumutbaren Bedingungen. Diese winzige, aber sinnlos tiefe Guckkastenbühne am Ende eines langen Saalschlauches verunmöglicht jede planvolle szenische Struktur.

Befreiungsschlag

In solche szenische Enge getrieben, holte das Leading Team dieser Produktion zu einem verblüffend einfachen Befreiungsschlag aus, der nicht nur in diesem Fall erfolgreich war, sondern vielleicht gar auch Schule macht: Leonard C. Prinsloo, Regisseur und Choreograf in Personalunion, und Bühnenbildner Friedrich Despalmes verfrachteten den Dirigenten Marius Burkert mitsamt seinem präzise und ambitioniert aufspielenden Franz-Lehár-Orchester in den Bühnenhintergrund und ließen die Aktionen vor diesem ablaufen.

Dadurch brauchte das durchaus exzellente Ensemble nicht, wie üblich, gegen eine aus dem Orchestergraben aufsteigende Dezibelwand anzukämpfen, sondern konnte sich vom Klang der Instrumente tragen lassen.

Die Aktionen entsprangen außerdem in ihren besten Momenten ebenfalls der Musik und nicht so sehr dem Libretto. Das führte vor allem zu Beginn in den Bewegungen des Chores und auch in diversen sich szenisch verselbstständigenden Soloauftritten zu Hoffmannesken Vorstößen ins Absurde, die durch Monika Bieglers fantasievoll historisierende Kostüme noch wirksam verstärkt wurden.

Aus seiner zehnjährigen Tätigkeit als künstlerischer Betriebsdirektor an den Grazer Bühnen wusste der neue Intendant, dass er sich mit Gerhard Balluch einen makaber bis possierlich meisterhaft grotesken Joachim holt und mit Erik Göller einen Hausminister von unheimlicher Bizarrerie.

In solchem Szenario wurde die nette Geschichte vom Ausbruch des nur zu Vermehrungszwecken frisch angeheirateten Leutnants Niki aus den Pflichten der Hochzeitsnacht mit Prinzessin Helene in die Arme von Franzi, der Chefin einer Damenkapelle, so wie schließlich seine Bekehrung zum braven Gatten durchaus erträglich. Mit Stimmen wie jener Miriam Portmanns (Helene) oder Ute Gferers (Franzi) und Ulrike Pichler-Steffens (Oberkammerfrau) zum reinen, mit jener von Reinhard Alessandri (Niki) zum etwas getrübten Vergnügen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 12.7.2004)