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Inge Meysel galt als "Mutter der Nation"

APA/Horst Ossinger
"Sie sieht so klein und kindchenhaft und großäugig aus wie die italienische Schauspielerin Giulietta Masina. Aber sie wirkt bei aller Verletzlichkeit doch zäh, eine Kämpfernatur. Ihren Mann hat sie im Griff (. . .)." So charakterisiert der Filmjournalist Harald Martenstein Käthe Scholz, die Protagonistin der TV-Serie Die Unverbesserlichen . Er meint damit auch deren Darstellerin Inge Meysel, die - selbst kinderlos - mit dieser Rolle lebenslang zur "Mutter der Nation" avancierte:

Die NDR-Produktion (1965 bis 1971), die die "Umbruchjahre" der Bundesrepublik sozialkritisch reflektierte, machte aus der 1910 in Berlin geborenen Meysel eine der bekanntesten und beliebtesten deutschen Schauspielerinnen der Nachkriegszeit.

Erst 1945 hatte sie mit Rollen am Hamburger Thalia Theater verspätet ihre Bühnenkarriere begonnen - auf erste Engagements nach Beendigung ihrer Ausbildung war für die Tochter eines jüdischen Tabakhändlers und einer Dänin während der NS-Diktatur bald das Auftrittsverbot gefolgt. Die Erfahrungen dieser Jahre, so Meysel später, hätten sie geprägt und bewogen, beizeiten "den Mund aufzumachen".

Ihre Popularität (die Schauspielerin stand für mehr als Hundert Fernsehrollen vor der Kamera und erhielt zahlreiche Auszeichnungen) nutzte die deklarierte SPD-Wählerin, um sich unter anderem gegen die Diskriminierung von Frauen, gegen den Abtreibungsparagrafen und für gleichgeschlechtliche Beziehungen einzusetzen. Noch als über 90-Jährige war sie in TV-Filmen und -Serien wie Tatort, Heimatgeschichten oder Polizeiruf 110 aufgetreten.

Am Samstagmorgen, wenige Wochen nach ihrem 94. Geburtstag, starb Inge Meysel laut Angaben ihres Betreuers in ihrem Haus in Bullenhausen bei Hamburg an einem Herzstillstand. (irr, DER STANDARD, Printausgabe vom 12.7.2004)