Im Gefängnis landet man schneller, als man glaubt. Das ist seit jeher eine weit verbreitete Befürchtung. Seit zwei Jahren lässt sie sich auch statistisch belegen. Derzeit befinden sich um ein Fünftel mehr Menschen hinter Gittern als noch im Juni 2002. Und das, obwohl die Zahl der zur Verfügung stehenden Zellen gleich geblieben ist und Planstellen bei der Justizwache sukzessive dem Sparkurs zum Opfer fallen.

Das Problem ist nicht erst seit gestern bekannt, aber die meiste Zeit gut weggesperrt. Es wird immer nur dann in Erinnerung gerufen, wenn, wie jetzt, ein Skandal aus einem Häfen dringt. Dabei ist der Skandal längst Alltag: Untersuchungshäftlinge müssen sich mit Strafhäftlingen Zellen teilen, Verurteilte werden auf der Suche nach einem freien Gefängnisplatz Hunderte Kilometer durchs Land gekarrt, statt sinnvoller Beschäftigung dürfen Insassen immer öfter nur noch Daumen drehen.

Strafanstalten sind Teil einer funktionierenden Justiz. Zum Schutz der Gesellschaft und demokratisch festgelegter Wertvorstellungen. Seit der Law-and-Order-Offensive der Regierung - Stichwort "importierte Kriminalität" - werden aber sogar minderjährige Ladendiebe wie Schwerverbrecher behandelt. Nur zur Erinnerung: Vor wenigen Monaten wurde ein 14-Jähriger, der im Supermarkt Kleinigkeiten mitgehen lassen hatte, in U-Haft gesteckt, wo er von Mithäftlingen vergewaltigt wurde.

Ein bedauerlicher Einzelfall, heißt es nachher immer. Doch in letzter Zeit häufen sich die bedauerlichen Einzelfälle hinter Gittern. Die neue Justizministerin Karin Miklautsch hat bereits erkennen lassen, dass sie gewillt ist, Missstände zu beseitigen. Wenn die Mühlen der Justiz aber weiterhin so langsam mahlen wie bisher, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die erste Gefängnisrevolte losbricht. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2004)