Ehrlicherweise sollte ich gestehen, dass diese Kolumne nur für einen einzigen Menschen bestimmt ist. Ich könnte Sie jetzt anlügen und behaupten, dass auch Sie wertvolle Erkenntnisse, ja vielleicht sogar Vergnügen aus diesen Zeilen ziehen könnten, aber das müsste ich schon sehr geschickt anfangen.

Wenn ich die volle Wahrheit erzählte, dann würden Sie sich auf jeden Fall amüsieren. Unterm Küchentisch würden Sie liegen, sich den Bauch halten und jauchzen und kichern bei dem Gedanken, wie dumm sich andere Leute bei den Versuchen, l'affaire d'amour einzufädeln, anstellen. Aber ich darf ja nicht die volle Wahrheit erzählen, weil dann fühlen sich die Leute bloßgestellt, und ich bin bald alle meine Informanten los. Also versuche ich's mit ein bisschen Lügen. Es wird eh viel zu wenig - und vor allem viel zu schlecht - gelogen heutzutage. Mal ehrlich: Wann hat Ihnen das letzte Mal jemand eine richtig gute Geschichte aufgetischt? So etwa: "Wissen Sie, ich bin Bigamist und müsste mich dringend heute Nacht in Ihrem Bett verstecken. Das Jugendamt ist hinter mir her, wegen der Alimentenforderungen der Gattinnen, Sie verstehen. . .(leidender, treuherziger Blick) Nicht, dass Sie denken, ich wäre arm, aber meine guatemaltekischen Goldminen wurden urplötzlich von scheinschwangeren Riesentermiten besetzt. . .eigentlich sollte ich sofort Selbstmord begehen, nur noch eine Nacht in Ihrem. . .äh. . .swingercluberprobten Bett. . .bitte. . ."

Mal ehrlich: Wer gibt sich noch so viel Mühe? Niemand. Alle wollen unbedingt ehrlich sein, sprich dumm, faul und unkreativ. Und so schleudern sie einem ihre Komplexe und Unzulänglichkeiten um die Ohren. So ein Ödipuskomplex ist ja billig erworben, und genauso billig und lieblos wird er auch performed, aber er liegt halt grad im Trend. Was völlig aus der Mode gekommen ist, sind Jungs, die einem vorlügen, sie wären erfolgreich (sonst würde ja nicht der Ferrari-Absatz hierzulande stagnieren), und Frauen, die einem vorlügen, sie wären schön und kostbar (sonst hätte Braun am Graben ja nicht dichtgemacht.)

Die Börsenkurse sind doch stets nur ein Indikatorpapier für den Einfallsreichtum der Geschlechter. Und wenn Männer und Frauen einander nichts mehr vorlügen wollen, wie soll man sich da die geringste Illusion über das Bruttosozialprodukt machen?

Wir sind zu ehrlichen, fleißigen Arbeitern im Weingarten des Herrn verkommen, ähneln bigotten Wahrheitsterroristen, erzählen ungehindert von unseren Problemen und unserem Scheitern, und damit wäre ich endlich beim Thema. (Sie, werter Leser, müssen jetzt kurz weglesen) O.J., alter Diwan! Versuchs doch mal mit Lügen und Betrügen! Der Ödipus hat dich geblendet, sonst hättest du nicht dieses blöde E-Mail geschickt. Sondern rohseidene Rosen. Mindestens. Ihre Cosima Reif , Zufallskolumnistin (Der Standard/rondo/02/07/2004)