Brüssel - Die Sozialdemokraten im Europaparlament (SPE) streben nach Worten ihres Fraktionschefs Martin Schulz ein "technisches Abkommen" mit der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) über die Aufteilung wichtiger Posten im neuen Europäischen Parlament (EP) an. Neben dem EU-Parlamentspräsidenten sollte die Vereinbarung auch die Besetzung der Ausschussvorsitzenden, des Parlamentspräsidiums und der für Finanzen zuständigen Quästoren abdecken, sagte Schulz am Mittwoch in Brüssel.

"Zwei Fraktionen, die zusammen 460 Abgeordnete umfassen, müssen versuchen, sich auf technischer Ebene untereinander auszutauschen", sagte Schulz. Er betonte, bisher existiere "noch keine offizielle Vereinbarung zwischen SPE und EVP". Seit der EU-Wahl habe es noch keine Gelegenheit zu einer Aussprache mit EVP-Fraktionschef Hans Gert Pöttering gegeben. Über eine inhaltliche Zusammenarbeit in der künftigen EU-Gesetzgebung wolle die SPE erst später "mit allen Fraktionen reden".

Anspruch auf Parlamentspräsidenten

"Nach zehn Jahren ist es wichtig, wieder einen Sozialisten, an die Spitze des Hauses zu bekommen", bekräftigte Schulz den Anspruch seiner Fraktion auf den nächsten EU-Parlamentspräsidenten. Der von der SPE-Fraktion für das Amt nominierte spanische Sozialist Josep Borrell habe als ehemaliges Mitglied des EU-Verfassungskonventes und langjähriger Verfechter der europäischen Einigung die dafür erforderliche Eignung. Nach Angaben von Medienberichten soll Pöttering mit Unterstützung der SPE in der zweiten Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode zum Parlamentspräsidenten gewählt werden, wenn die EVP Borrell in der ersten Hälfte ihre Stimmen gibt.

Grüne Alternative

Nach Worten des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Daniel Cohn-Bendit ist die Zusammenarbeit zwischen SPE und EVP bereits "beschlossene Sache" und soll nach Ende des derzeitigen Parteitreffens der Konservativen in Budapest unterzeichnet werden. Zu dieser Koalition gebe es "entgegen allen Behauptungen" eine Alternative. Zusammen hätten nämlich SPE, Liberale, Grüne und Linke 367 von insgesamt 732 Stimmen, rechnete Cohn-Bendit vor. "Alle Argumente, das Parlament wäre stabiler, wenn sich EVP und SPE einigen, sind verlogen." Durch eine Zusammenarbeit mit der EVP könnten sich die Sozialisten aber "ausdealen, welche Ausschüsse sie sich unter den Nagel reißen können".

Gegenkandidat

Cohn-Bendit sprach sich für den liberalen polnischen Ex-Außenminister Bronislaw Geremek als nächsten EU-Parlamentspräsidenten aus. Dieser symbolisiere das geeinte Europa "durch unsere gemeinsame Geschichte und den Kampf gegen den Totalitarismus" besser.

Der EU-Abgeordnete Geremek ist zuvor von der Liberalen Fraktion als Kandidat für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten vorgeschlagen worden. Seine Kandidatur gelte als Signal, dass "Abmachungen im Hinterstübchen" nicht akzeptabel seien, sagte Liberalen-Chef Graham Watson.

Unterstützung

Geremek, der die Nominierung akzeptierte, sprach von einer symbolischen Geste für die EU nach den Wahlen, an denen erstmals auch Abgeordnete aus den zehn neuen Mitgliedsländern teilnahmen. Die Tatsache, dass ein früherer Dissident, der über 15 Jahre darum kämpfte, sein Land zu verändern, ein Kandidat für das Amt des EU-Präsidenten sein kann, habe einen symbolischen Wert, der über den politischen Streit der Parteien hinaus gehe. Bisher haben nur die Liberalen und die Grünen, die gemeinsam etwa 120 der 732 Abgeordneten stellen, ihre Unterstützung für Geremek geäußert. (APA)