Foto: Stuttgarter Staatsoper
Die Stuttgarter Oper wollte wohl ans Ende der Saison etwas Besonderes setzen. Mit einem Tristan des Opernneulings Luk Perceval sogar etwas ziemlich Riskantes. Hätte gut gehen können. Bei Perceval, der mit seinem Schlachten- Monstrum in Salzburg Furore gemacht hat und noch in jedem Shakespeare die Witterung bis in die Bereiche aufnimmt, die wehtun, war man auf drastische Verdeutlichung von Einsamkeit und Todessehnsucht gefasst.

Zwar kamen sie allesamt gleich zum Vorspiel auf die Bühne, aber weder nackt noch blutverschmiert, sondern im dunklen Anzug mit Krawatte - und sie benahmen sich auch so. Tristan und Isolde in kollektiver Unauffälligkeit. Nur Brangäne (im leuchtenden Rot) und Marke (heller Anzug) fielen aus dem Rahmen. Wohl weil sie bei Wagner "überleben", hier scheinbar sogar in einer Beziehung zueinander. Nun liefert das Rauschopus etliche Ansatzpunkte, um erotisch grundierten Obsessionen jenseits des zentralen Liebespaares nachzuspüren.

Doch eine zwischen Marke und Brangäne scheint weit hergeholt. Und auch, wenn man der voll ausgespielten Präsenz der überragenden Michaela Schuster folgt und all das, was zwischen Isolde und Tristan passiert, als eine Art nicht selbst gelebtes, aber ersehntes Leben, quasi als Brangänes Traum, betrachtet, geht das nicht auf, weil es mit der Stockbalance kollidiert.

So gibt es zwar intensive Momente - etwa wenn sich Tristan und Isolde mit den Händen berühren. Der Liebestrank wird szenisch zwar verweigert, doch Brangäne darf dafür einen Dolch ins Spiel bringen und erst Tristan und dann Melot in die Hand drücken. Doch meist bleibt die narrative Verweigerung in einer quasi konzertanten Spielsituation, wie ein Figurenschach im Schatten eines Dramaturgenkonzeptes.

Im ersten Aufzug steht nichts als eine Riesenkiste auf der Bühne, im zweiten eine riesige Wand, wie ein aufgeschlagenes Buch, das im dritten wie ein (Sternen-)Zeltdach über Tristan schwebt. Diese Ausstattungs-Großgeometrie (Annette Kurz) dient in der Bühnenleere als Projektionsfläche für kreativ ins Bild integrierte Textteile.

Sängerfreundlich und rampennah, aber nicht durchweg wirklich "ausgespielt" wirkt das. Wobei sich Wolfgang Schöne als Kurwenal und Attila Jun als exzessiv leidender Marke noch am eindrucksvollsten neben Brangäne profilierten. Für seinen Tristan hatte Gabriel Sadé zwar erhebliche Reserven für die finalen Wahnfantasien des dritten Aufzugs aufzubieten, aber nicht wirklich den großen Sehsuchtsatem. Und auch Lisa Gasteen beeindruckte zwar mit Kondition und auch bei Isoldes Liebestod, sie blieb aber das ganz große Aufleuchten schuldig.

Szenisch hatte ihnen Perceval das nachvollziehbare Liebespaar ohnehin verweigert. Und da es Dirigent Lothar Zagrosek mit Erfolg offenbar um Klarheit und Nachvollziehbarkeit des musikalischen Teiles der "Handlung" ging und weniger um die Freisetzung von Rauschnarkotika, blieb dies insgesamt ein erstaunlich unterkühlter neuer Tristan. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2004)