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191 Tote und fast 2000 Verletzte: Spaniens Polizei und Geheim-dienste hatten die konservative Regierung Aznar bereits Monate vor den Anschlägen am 11. März in Madrid gewarnt. Expremier Aznar beschuldigte die Eta - eine Verbindung des Anschlags mit Spaniens umstrittenem Irakeinsatz war kurz vor den Wahlen nicht opportun.

Foto: Reuters/Andrea Comas
Ähnlich wie im Fall von 9/11 in den USA war auch die Regierung in Spanien offenbar bereits Monate vor dem Terrorangriff vom 11. März in Madrid gewarnt worden. Doch Expremier Aznar soll aus wahltaktischen Gründen die Spur auf die Baskenorganisation Eta gelenkt haben.

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Madrid - Die spanische Regierung hat dem Ansuchen einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die die politischen Hintergründe und Verantwortlichkeiten der Attentate vom 11. März durchleuchten soll, Geheimdokumente übergeben, in denen Terrorspezialisten von Polizei und Guardia Civil bereits nach den Anschlägen von Casablanca im Mai 2003 vor Terroraktionen in Spanien gewarnt hatten.

In einem Report wird aus der Anwesenheit spanischer Truppen im Irak, ebenso wie in Afghanistan, ein "deutlich erhöhtes" Risiko eines Anschlags durch Al-Kaida-Terroristen in Spanien abgeleitet. Bereits im November 2003 war der spanischen Polizei auch Rabei Osman Sayed Ahmed aufgefallen, einer der Hauptverdächtigen der Anschläge vom 11. März.

Aznar war gewarnt

Damit bestätigen sich Hinweise, wonach die Regierung von José Maria Aznar vor einem Anschlag islamistischer Extremisten gewarnt war. Die sozialistischen Kommissionsmitglieder wollen mithilfe der Unterlagen belegen, dass Premierminister Aznar nach der Explosion der Bomben in den vier Schnellbahnzügen auf der Fahrt zum Bahnhof Atocha den Verdacht bewusst und - angesichts der drei Tage später stattfindenden Parlamentswahlen - aus taktischen Überlegungen in Richtung der baskischen Terrororganisation Eta gelenkt habe.

Mit Ausnahme von sechs Dokumenten, die Erkenntnisse ausländischer Geheimdienste zusammenfassen und aus nationalen Sicherheitsgründen weiterhin unter Verschluss bleiben, liegen den Parlamentariern alle geforderten Polizeiberichte vor. Die Vertreter der konservativen Volkspartei beklagen jedoch, die von ihnen verlangten Unterlagen seien der Kommission nicht übergeben worden: Insbesondere die Auflistung der mittels SMS verschickten Aufrufe zu einer Protestkundgebung vor der PP-Parteizentrale am Vorabend der Wahl.

Telefonlisten verlangt

Mithilfe der Telefonlisten wollten die Konservativen beweisen, dass die Attentate von sozialistischen und kommunistischen Politikern zum Anlass genommen wurden, eine "spontane" Kundgebung gegen die Regierung Aznar zu inszenieren, obwohl politische Kundgebungen am Tag vor einem Wahlgang verboten sind. In konservativen Kreisen bemüht man sich außerdem, eine kursierende Verschwörungstheorie zu erhärten, wonach die Führung des militärischen Abwehrdienstes CNI die Regierung bewusst falsch informiert habe, um den - am 14. März tatsächlich eingetretenen - Umschwung im Wahlverhalten herbeizuführen.

Ab heute, Montag, werden vorerst 81 Personen zu den Ereignissen aussagen, darunter Augenzeugen der Ereignisse vom 11. März, Polizisten und Journalisten. Politiker sollen als letzte befragt werden, wobei die Tatsache, dass - trotz ausdrücklich geäußerter Bereitschaft - weder Expremierminister Aznar, noch sein Nachfolger Rodríguez Zapatero vorgeladen wurden, unter Oppositionspolitikern den Verdacht laut werden ließ, die beiden Großparteien hätten sich auf ein "Stillhalteabkommen" verständigt.

Die Arbeiten der parlamentarischen Kommission sollen in vier Wochen abgeschlossen sein. Bei den Terroranschlägen auf vier Vorortezüge in Madrid waren 191 Menschen getötet und fast 2000 verletzt worden. (DER STANDARD, Printausgabe 5.6.2004)