Hans von Manens Choreografie "Simple Things" als Hauptgang eines tänzerischen Drei-Gänge-Menüs des Nederlands Dans Theaters II zum Auftakt von ImpulsTanz

Foto: ImpulsTanz
"Simple Things" und Abhandlungen über erhöhten Zeitaufwand: Das Nederlands Dans Theater und seine fantastischen Tänzer gaben ein leichtfüßiges "ImPulsTanz"-Spezial im Burgtheater.


Wien - Die Tänzer in ihren blackboxschwarzen Anzügen steigen von der Bühne in den Publikumsraum. Vierzehn junge Leute, die gerade großartig getanzt haben, suchen Partner unter den Zuschauern. Und im Handumdrehen wiegen sich vierzehn auserwählte Frauen und Männer mit ihren Partnern aus dem Corps de ballet des Nederlands Dans Theater (NDT) II auf der Bühne des Burgtheaters. Alle, die sich aus ihren bequemen Sitzen haben entführen lassen, erweisen sich als souveräne und originelle Gäste.

Diese Szene aus dem Stück Minus 16 des israelischen Choreografen Ohad Naharin war sicherlich die spannendste an einem Ballettabend, der als erster Auftakt und "Spezial"-Veranstaltung des Wiener ImPulsTanz-Festivals den Wörterstaub auf den edlen Brettern des Hauses am Ring aufwirbelte. Vier Happen von drei hochgelobten Choreografen, Jirí Kylián, Hans van Manen und Naharin, wurden als fein gewürztes Tanzsouper aufgetischt. Die Youngstersgruppe, II, des dreigeteilten NDT - Nummer I ist die Hauptcompagnie, im NDT III tanzen "Oldies" über vierzig - versteht ihr Handwerk aufs Beste. Insgesamt kann sich das Nederlands Dans Theater beinahe mit Anne Teresa De Keersmaekers Ensemble "Rosas" messen, übertrifft John Neumeiers Hamburg Ballett und wird niemals das Niveau des Ballett Frankfurt unter William Forsythe erreichen.

Der erste Gang in dem Menü, Kyliáns 27'52: Bühnensetting und Struktur des Stücks wirkten wie die Karikatur einer Choreografie von Forsythe, im Grundtenor allerdings hallte etwas Buchhalterisches durch. Für die gesamte Produktion habe man 4418,75 Stunden gebraucht, heißt es im Programm. Dabei sind auch 26 Stunden für Fotoaufnahmen und die 438 Stunden, die es brauchte, um die einfachen Kostüme für sechs Tänzer herzustellen. Kylián selbst butterte 900 Stunden in den knappen Halbstünder.

Hier hat der Meister sich offenbar nicht hetzen lassen, und die Kostümbildner waren zwischendurch wahrscheinlich zwei Wochen, also 336 Stunden, auf Urlaub.

Esoterikschrott

Der Titel des Stücks erinnert nahe liegend an John Cages Klassiker 4'33'', was Kylián salopp mit einer esoterischen Verschrottung zweier Themen von Gustav Mahler durch Dirk Haubrich konterkariert. Neben der wunderbaren Qualität der jungen Tänzerinnen Aurélie Cayla, Valentina Scaglia und Dana Johaníkova und ihrer drei männlichen Partner fiel auf, dass Kylián sich mit seinem Einfall, am Ende drei Tanzbodenbahnen auf den Boden klatschen zu lassen, entweder bei Michael Laubs Total Masala Slammer oder bei Charmatz' Con forts fleuve bedient hat.

Hans van Manens zweiteilige Hauptspeise, Simple Things und Solo, boten kalorienarme Kost. Tadelloses Handwerk aus dem Kochbuch des modernen Balletts. Der zart homoerotische Beigeschmack im Abgang des Inhalts macht Lust auf mehr Auseinandersetzung mit der Männerliebe, aber darauf lässt sich der Altmeister nicht ein. Humor in diesen groß angelegten Abend brachte schließlich der Leiter der israelischen Batsheva Dance Company, Ohad Naharin. Bei ihm kamen auch die Tänzer zu Wort, er gab ein wenig Cha-Cha-Cha in sein Dessert, zündete mit Pensionistenpop, und er lud, wie eingangs beschrieben, Leute aus dem Publikum auf die Bühne.

Eine entzückende ältere Dame, die gegen Ende von Minus 16 allein als letzter Gast unter lauter am Boden liegenden Darstellern auf der Bühne stand, hob fragend und nachsichtig die Arme an. Besser war dieser künstlerisch überaus leichtfüßige Abend gestisch nicht zu kommentieren. Hätten sich die drei Choreografen nicht auf ihre brillanten Tänzer verlassen können, wäre die Chose zu einem veritablen Flop geraten. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.7.2004)