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Saddam Hussein bei seiner Anhörung

Foto: AP/Ballard
Wien - Der Zweck des Prozesses gegen Saddam Hussein und die Baath-Führungsriege sei ja doch, die neue Rechtsstaatlichkeit im Irak zu demonstrieren, sagt Nathan J. Brown, Professor an der Washington University. Laut dem Experten für die Verfassungen der arabischen Staaten droht das schief zu gehen.

Brown kritisierte bereits im März in einem Kommentar zur (von ihm sonst teilweise hochgelobten) irakischen Übergangsverfassung, dass der Sondergerichtshof, der Saddam und die anderen aburteilen soll, außerhalb des Verfassungsrahmen stehe: In Paragraf 15 verbiete die Verfassung Sondergerichtshöfe, in Paragraf 48 werde dann ein - noch dazu von der US-Besatzungsbehörde geschaffener - Sondergerichtshof festgeschrieben.

Im Telefongespräch mit dem STANDARD meint Brown, dass das Gericht in der arabischen Welt deshalb ein Glaubwürdigkeitsproblem habe: "Es ist ja üblich, wenn neue revolutionäre Regime an die Macht kommen, dass diese Sondergerichtshöfe einrichten: Und wie man beim Saddam-Gerichtshof vorgegangen ist, erinnert in der arabischen Welt an die Erfahrung von Schauprozessen", auch das Timing und die Art der Vorführung Saddam Hussein, sagt Brown.

Wobei der legale Kontext weniger problematisch sei als der politische: Das Statut des Gerichtshofs, so Brown, wurde ja zum Teil von Leuten geschrieben, die an der Schaffung des internationalen Strafgerichtshofs mitgewirkt hätten, das sei schon in Ordnung. Aber das Tribunal sei eben eingerichtet worden, als der Irak unter Besatzung stand, von der Besatzungsverwaltung und einem von ihr ernannten Gremium mit beträchtlichen Legitimitätsproblemen (dem inzwischen aufgelösten Regierungsrat).

Deshalb sei es auch kein automatischer Glaubwürdigkeitsgewinn, internationale Beteiligung hineinzuholen - was vom Gesetz her möglich sei. Andererseits, so Brown, verstehe er natürlich die "legale und politische Logik", die dahinter stand, möglichst schnell einen irakischen Gerichtshof zu schaffen.

Da der Gerichtshof in der Interimsverfassung steht: Ist es möglich, dass er durch eine kommende, ständige Verfassung wieder abgeschafft wird? Brown: "Interessante Frage, ich denke, das ist schon möglich. Es wird ja überhaupt interessant sein zu sehen, wie eine neue Verfassung mit all den rechtlichen Verfügungen, die aus der Besatzungszeit stammen, umgeht." Einerseits werde man vielleicht eine große Unabhängigkeit zeigen wollen, andererseits werde man zu dem Zeitpunkt, zu dem es eine neue Verfassung gibt, schon eine beträchtliche Weile mit dieser rechtlichen Situation gelebt haben, sie ist schwer wegzuwischen.

Auch Brown ist eher der Meinung, dass die Vorführung Saddams in der arabischen Welt vielleicht den gegenteiligen Effekt als beabsichtigt hatte. "Aber ich denke, das wird sich ändern, wenn Leute auszusagen beginnen. Dann wird das Publikum mit den unangenehmen Realitäten konfrontiert werden. Was gestern nicht der Fall war."

Einen weiteren Legitimitätsverlust - aber vielleicht Probleme auch für die Durchführbarkeit des Prozesses beziehungsweise der Verurteilung - befürchtet Brown, wenn man den Saddam-Prozess zu schnell durchdrückt: Die USA würden das betreiben, weil sie Kontrolle ausüben wollen.

Befehlsgewalt

Saddam Hussein wird, so wie es jetzt aussieht (was sich natürlich ändern kann) ohnehin aufgrund seiner "Befehlsgewalt" abgeurteilt werden müssen, noch scheint niemand in den oberen Befehlsrängen bereit zu sein, gegen ihn auszusagen. Frage: Wäre es deswegen nicht besser, mit unteren Chargen anzufangen? Wenn diese bereits verurteilt wären, wäre es doch einfacher, mit der "Befehlsgewalt" gegen Saddam zu arbeiten . . . Brown bejaht: "Und das könnten die Iraker ja noch immer so machen, gestern war nur die Anklageverlesung."

Aber Saddam persönlich vor dem Gericht, das wäre natürlich für den Bush-Wahlkampf besser? Brown: "Zweifellos, aber der Einfluss der USA geht zurück." Die US-Zivilverwaltung im Irak habe alles getan, die legalen institutionellen Grundlagen für den fortgesetzten amerikanischen Einfluss im Irak zu legen, "und das gibt es alles noch. Aber der politische Wille, es zu benützen, schwindet." (DER STANDARD, Printausgabe, 3.7.2004)