Borrell hat als Vertreter seiner 25-köpfigen Delegation und als Sieger der EU-Wahl in Spanien die besten Karten. Die Unterstützung seiner Landsleute sowie der Franzosen, Portugiesen und eines Teils der deutschen Sozialdemokraten dürften ihm sicher sein. Nachfolger des bisherigen liberalen Parlamentspräsidenten Pat Cox würde er unter der Voraussetzung, dass sich die SPE mit der größten Fraktion, der EVP, über eine informelle Zusammenarbeit in der nächsten fünfjährigen Legislaturperiode einigt und beide Gruppen den Posten für die Hälfte der Zeit aufteilen. Wenngleich dies auch nicht offiziell besiegelt ist, zeichnet sich eine schwarz-rote Kooperation im neuen EU-Parlament ab.
Chancen für Swoboda und Wynn
Sollte Borrell im ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit seiner 199 Fraktionskollegen erhalten, werden in der SPE auch noch Swoboda und Wynn Chancen eingeräumt. Dann würde eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Bewerbern entscheiden, viele Delegationen haben ihre Haltung bisher offen gelassen. Der 57-Jährige SPÖ-Abgeordnete verfügt über eine lange Erfahrung im Europaparlament und ist besonders bei deutschen und osteuropäischen Parteigenossen gut angeschrieben. Der slowenische Spitzenkandidat Pahor gilt dagegen als politisches Leichtgewicht, ihm werden höchstens Außenseiterchancen zugetraut.
Auf ihrer konstituierenden Sitzung am Montagnachmittag werden die Sozialdemokraten zunächst ihren neuen Fraktionschef wählen. Einziger Kandidat ist der deutsche SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz. Im Anschluss daran beginnt die Anhörung der Kandidaten für die Präsidentschaft des Europaparlaments.
Als möglicher konservativer Parlamentspräsident in der zweiten Hälfte der nächsten Legislaturperiode gilt EVP-Fraktionschef Hans-Gert Pöttering. Im neuen Europaparlament stellen die Konservativen voraussichtlich etwas mehr als 260 der 732 Abgeordneten. Von Montag bis Donnerstag nächster Woche kommen die EVP-Spitzen in Budapest zusammen, um ihre Strategie nach der geschlagene EU-Wahl zu erörtern.
Am Montag findet zunächst eine Aussprache mit EU-Konventspräsident Valery Giscard d'Estaing statt, dem "Vater" der vor zwei Wochen in Brüssel beschlossenen ersten europäischen Verfassung. Am Dienstag kommt es dann zu einer Debatte mit neun konservativen EU-Kommissaren, darunter auch dem Österreicher Franz Fischler.