Mileta Prodanovic: Visitations. White Angel In The City (2003/04, Ausschnitt)

Foto: Secession

Keine Antwort auf die ewig gleiche Frage im Verhör: "Was ist Kunst, Marinela Kozelj?", Raa Todosijevic, 1978.

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Wien - Alles darf passieren, solange es nicht "blutleer" ist, solange es unmittelbar mit dem Leben verknüpft ist: Nur in diesem Zusammenhang sieht Harald Szeemann, seit seiner Erfindung der "Themenausstellung" und der "Sehschule" zur fünften Kasseler documenta höchst aktive Kuratorenlegende, Kunst als etwas Ethnien, Religionen, Mehrheiten und Minderheiten Verbindendes.

"Blut & Honig" nannte er seine Ausstellung zur Kunst am Balkan im Mai vergangenen Jahres in der Sammlung Essl in Klosterneuburg. Und, zog der Meister der intensiven Zur-Schau-Stellung sein Resumme nach Monaten der Recherche zwischen Slowenien, Moldavien und Albanien: "Zukunft ist am Balkan".

Weil: Der ganze Kunstmarkt mit seiner Betriebsamkeit, das ganze New York mit all diesen Galerien, langweile ihn bloß noch. Spannend ist der Moment, in dem man noch beisammen sitzen kann, und trinken und reden, bevor alles seinen Lauf nimmt - solange durch die bekannten Stationen läuft, bis es dann eben scheitert. Die Sehnsüchte nach derart urigen - mythischen - Gründertreffen hat ihm der Balkan gestillt.

Und sofort hat er eine Ausstellung gemacht, das zu vermitteln: Mit dem Leichenwagen der Habsburger, in dem Kronprinz Ferdinand nach dem Attentat von Sarajevo zu Grabe getragen wurde, mit raumgreifend illustrativen Installationen, mit saftig satten Szenarien, mit einem Großaufgebot von über 70 Künstlern, mit lange erprobten Dramaturgischen Mitteln, das Viele zu einem überzeugenden Gesamtbild zu fügen.

"Belgrad Art Inc.", nennt Kurator Stevan Vukovic (in Zusammenarbeit mit Marko Lulic) seine Schau zu Gegenwart und jüngeren Vergangenheit der Kunstszene Belgrads. "Momente des Aufbruchs" verspricht der Untertitel, und damit zugleich weniger und mehr als Szeemanns Gipfelsieg am Berg "Zukunft".

Eines war den Kuratoren absolut wichtig: "Die Schau soll nicht wieder bekannte Balkanklischees bedienen - Schlagworte wie Fragment, Überborden, Buntheit, Ethnokitsch und so fort - sondern eine moderne Kunstausstellung sein. Dafür steht die Belgrader Szene seit den sechziger Jahren: für Modernität." Und so gibt sich die Schau dann auch in unterkühltem Weiß, sauber und ganz aufgeräumt.

Ganz so will sie wirken, wie die einschlägige Präsentation einer jeden anderen Metropole auch: normal! Schließlich hat ja der Balkan-Boom der letzten Jahre eines mit sich gebracht: Die Szene ist professionell geworden, es gibt in Belgrad einen internationalen Standard von Vermittlungs-und Kommunikationsstrukturen, die Basis von Inc(orporated), die Grundlage zu ökonomisch orientiertem Agieren, die Basis zur Aufarbeitung der Traumata, die die Szene nach dem Kollaps des Sozialismus erschütterten. Zuvor, im Jugoslawien Titos der Sechziger-und Siebzigerjahre, war Kunst aus Belgrad durchaus im internationalen Focus.

Der Katalog der Ausstellung "In Another Moment", die Nena und Braco Dimitrievic 1971 im Belgrader Studentischen Zentrum (SKC) veranstalteten, belegt regen Austausch mit "westlichen" Kollegen wie Lawrence Weiner, Daniel Buren oder der Gruppe Art & Language. Ausgaben des dadaistischen Magazins Zenit mit Beiträgen von Malevitsch bis Loos verweisen auf die blühende Szene der 20er-Jahre.

Das Belgrad der 90er-Jahre wird charakterisiert als "closed society", in der es vor allem galt, trotz der Unmöglichkeit zu reisen und der sehr begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten, eine "Szene" aufrecht zu erhalten.

Mrdan Bajic begann 1998 mit seinem Yugomuzey (www.yugomuzej.com), einem work in progress als virtuelles Museum - unter dem Slavia Platz in Belgrad -, in dem Reliquien der jugoslawischen Geschichte als kritische Rauminstallation zur Frage repräsentativer Denkmäler in der Stadt zueinander gefügt werden sollen. Ein Rundgang ist zunächst nur via CD-Rom möglich.

Höchst greifbar ist dagegen die überlebensgroße Skulptur einer "real existierenden" Turbofolksängerin, eine Ikone jener Mischung aus Techno und Musikantenstadelsound, welche den Populärmusikgeschmack ebenso bestimmt wie sie mit dem populistischen Einsatz nationalistischer Parolen punktet. Milica Tomic zeigt erneut ihr Video "On Love Afterwards" mit Partisaneninterviews. Elke Krystufek fungiert als Brücke in den "Westen".

"Belgrade Inc." gibt sich bemüht anders, versucht den Bazar-Touch vergleichbarer "Ostkunst"-Schauen zu vermeiden. Um den Preis, recht charakterlos im tugendhaften Mainstream einer anderen Szene zu versinken. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2004)