Lissabon - Die Goldene Generation mit Luis Figo, Rui Costa und Fernando Couto erlebt in Portugal eine Renaissance, der "verlorenen Generation" in Orange steht hingegen ein Rücktrittswelle bevor. Dick Advocaat nahm verklausuliert seinen Bondscoach-Hut, die Spieler redeten Tacheles und forderten den radikalen Umbruch. Noch in den Katakomben des Lissaboner Alvalade-Stadions begann nach der erschreckend einfallslosen Halbfinal-Vorstellung gegen den EM-Gastgeber der Zerfall der niederländischen Fußball-Auswahl.Stellungnahme des Verbandes nächste Woche

Mit dem 1:2 im Halbfinale zerplatzte der orangene Traum vom zweiten EM-Titel und vom zweiten Einzug ins EM-Endspiel nach 1988 wie eine Seifenblase. Wie geht es nun weiter mit den Niederländern, die zum insgesamt fünften Mal in der Runde der letzten Vier (EM und WM) gestanden waren? "Es wird in der nächsten Woche eine Stellungnahme des Verbandes geben. Es gibt gute Gründe zu gehen und gute Gründe zu bleiben", sagte der in der Öffentlichkeit wegen seiner Taktik und seinen Personalentscheidungen in der Dauerkritik stehende Advocaat am Mittwoch Abend zu seiner Zukunft, die er für sich längst entschieden hat: "Ich weiß, was ich tun werde."

Ohne jeden Kontakt zu seinen Spielern und ohne den obligatorischen Handschlag mit dem gegnerischen Kollegen war der Bondscoach nach dem Schlusspfiff schnurstracks in die Kabine geflüchtet. Dass sich Advocaat, dessen Vertrag noch bis 2006 Gültigkeit hat, doch zum Weitermachen entschließen könnte, erwartet niemand mehr. Der 56-Jährige ist nicht nur für die Medien ein rotes Tuch, sondern vor allem bei den jüngeren Spielern unten durch.

Auf Routiniers gesetzt

Bis zum bitteren Ende hatte Advocaat (55. Länderspiele/Rekord, bisher Rinus Michels 54) im Zweifelsfall immer seinen Routiniers vertraut und gegen Portugal eine im Durchschnitt fast 30 Jahre alte Oldie-Truppe aufgeboten. "Ich klage den Trainer an, dass ich keine Minute gespielt habe", wetterte deshalb Rekordtorschütze Patrick Kluivert, der als einziger Feldspieler zu keinem EM-Einsatz kam. Auch das 21-jährige Ajax-Juwel Rafael van der Vaart ließ seinem Frust freien Lauf: "Für mich war die EM eine große Enttäuschung, weil ich nur einmal gespielt habe. Es wird jetzt einen Generationenwechsel geben."

Dieser ist unvermeidlich, die Rücktrittswelle setzte schon Portugal ein. Rekordteamspieler und Kapitän Frank de Boer (112 Spiele/34 Jahre), der wegen einer Knöchelverletzung auf Krücken das EM-Aus mit ansah, sowie Abwehr-Hüne Jaap Stam (31) und der nach der Ausmusterung vom FC Barcelona nach einem neuen Arbeitgeber suchende Marc Overmars (31) stehen der Oranje-Auswahl nicht mehr zur Verfügung. Andere denken über einen Rücktritt nach oder stehen zwangsläufig vor der Ausmusterung durch Advocaats Nachfolger: Dazu gehören Paul Bosvelt (34), Philip Cocu (33), Michael Reiziger (31) oder Stürmer Pierre van Hooijdonk (34), der nicht den ersten Schritt machen will: "Man tritt vom Fußball zurück, nicht aus der Nationalmannschaft." Auch Keeper Edwin van der Sar (33) will sein Tor nicht freiwillig räumen.

Cruyff lästert über Schiri

"Es ist eine verlorene Generation", urteilte Altmeister Johan Cruyff über seine Erben, die in der Tat mit leeren Händen abtreten. Wie schon bei den EM-Endrunden 1992 und 2000 sowie der WM 1998 kam im Halbfinale das Ende. "Heute war das erste Mal, dass wir das Endspiel auch nicht verdient hatten", übte de Boer Selbstkritik. Cruyff ließ nicht nur an seinen Landsleuten, sondern wie Ruud van Nistelrooy auch an Schiedsrichter Anders Frisk kein gutes Haar. "Miststück erster Klasse", soll die Legende über den Schweden geurteilt haben.(APA/dpa)