Villa "Wunderkind", Seestraße in Potsdam, am Ufer des Heiligen Sees, so lautet Wolfgang Joops neue Adresse. Der Designer hat nun endgültig seine Zelte in Hamburg und New York abgebrochen, ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Hier, unweit dieses weißen Hauses mit seiner klarlinigen Eleganz im Stil der dreißiger Jahre, wurde er geboren. Als er die Villa 1995 sah, musste er sie haben. Es dauerte drei Jahre, bis sie wieder im alten Glanz erstrahlte, und er sie "Wunderkind" taufen konnte. Wunderkind? Warum, um Himmels Willen, dieser Name? Ihr Eigentümer, Jahrgang 1944, dürfte dem Wunderkinder-Alter doch langsam entwachsen sein.

Wolfgang Joop lacht. Jenes blendend weiße Jungenlächeln, das man von unzähligen Fotos zu kennen glaubt. "Das Wort hat mich auf Anhieb fasziniert", sagt Deutschlands bekanntester Mode-Peter-Pan, "deshalb habe ich es für mich schützen lassen. Natürlich habe ich in dem Begriff ein Gefühl wiedergefunden, das mich an meine Kindheit erinnert. Man kann etwas, auf das man stolz ist, und fühlt sich doch gerade deshalb ausgeschlossen." Er dachte, den Begriff vielleicht für einen Duft verwenden zu können. Was Joop außerdem gefiel, war die Tatsache, dass "Wunderkind" als Fremdwort sowohl im Russischen wie im amerikanischen Sprachgebrauch existiert.

Dass er aber das Wort einmal für eine Kollektion namens "Wunderkind Couture" würde brauchen können, konnte er damals, vor circa acht Jahren, nicht ahnen. Damals waren Joop-Kollektionen auch wirklich Joop-Kollektionen, heute ist sicher nicht Joop drin, wo Joop draufsteht. Auch wenn es das Ausrufezeichen auf dem Etikett mit Nachdruck betonen möchte: Der Designer hat nichts mehr mit der Marke "Joop!" zu tun.

Vor drei Jahren hat Wolfgang Joop die restlichen fünf Prozent seiner Aktienanteile an der Joop GmbH verkauft, wodurch er auch als Designverantwortlicher ausschied. Damit hatte er sich endgültig von seinem Namen als Label getrennt. "Trotzdem ist es nicht leicht, mit ansehen zu müssen, dass etwas meinen Namen trägt, für das ich nichts kann!"

Wir sitzen im Salon der Villa "Wunderkind" und blicken auf das Marmorpalais am anderen Ufer des Sees, der Sommerresidenz Friedrich Wilhelms II. von Preußen, des sinnlichsten aller Hohenzollern-Könige. Sinnlich sind auch die rotsamtenen, wulstig dicken Sessel der "Eisbär"-Sitzgruppe von Jean Royère, die auf einem noppig melierten Teppich von Eileen Gray stehen. Vor kurzem hatte Joop für einen mehrstelligen Millionenbetrag einen Teil seiner Möbel bei Sotheby's in New York versteigern lassen. "Dass sie fehlen, merkt man überhaupt nicht", sagt er, der immer ein Sammler aus Leidenschaft war.

Diese galt im Besonderen den Bildern der polnischen Malerin Tamara de Lempicka, die im Paris der Art déco-Jahre mit mondänen Gesellschaftsporträts erfolgreich war. Wolfgang Joop besitzt zehn Gemälde von ihr, obwohl man deren Kunst später als kitschig abtat. Heute sind sie in der Royal Academy of Art in London zu bewundern, wo derzeit die erste Retrospektive über die Künstlerin zu sehen ist. Am 15. September kommt diese übrigens nach Wien ins Kunstforum. "Sie wurde nie wirklich als Künstlerin anerkannt", bemerkt dazu Wolfgang Joop, denn immer war sie zu schön oder zu reich und vor allem zu modisch . . . genauso wie ich!"

Hinter diesem Satz verbirgt sich mehr als bloße Koketterie. Der Designer, der zuletzt eher durch schrille Filmauftritte und lässige Talkshow-Sprüche auffiel, möchte nicht nur mit Joop-Jeans in Erinnerung bleiben. Deshalb startet er nun noch einmal durch mit "Wunderkind Couture", anstatt sich auf seine Terrasse zu legen und die Aussicht über den Heiligen See zu genießen. "Das bin ich dieser Stadt schuldig", sagt er und meint sich selbst.

Nach einem Testlauf vor fünfzehn ausgesuchten Einzelhändlern im vergangenen Jahr feierte er im vergangenen Februar Premiere mit der diesjährigen Herbst / Winter-Kollektion. Obwohl sich die Preise zwischen 3000 und 10.000 Euro im Verkauf bewegen, war die Resonanz durchwegs positiv.

Mit sicherem Gespür hatte Wolfgang Joop eine Nische entdeckt, die auf höchstem Niveau ein Maximum an Individualität garantieren soll. Dafür hat er sich seiner stilistischen Wurzeln besonnen, die immer in den zwanziger bis vierziger Jahren der Berliner Couture des vergangenen Jahrhunderts lagen. Aber er hat ihnen eine neue, bislang unbekannte Komponente hinzugefügt, eine souverän, mit leichter Hand hingetupfte Internationalität.

Und so glühen Wolle und Satin in Edelsteinfarben wie Smaragdgrün, Fuchsia und Rubinrot und erinnern im Zusammenspiel an Yves Saint Laurents Couture. Ausgefranste Kanten und durch Rosetten aufgelöste Säume zitieren die abgerissene Zufälligkeit in Rei Kawakubos Comme-des-Garçons-Entwürfen. Harlekinrauten, von Hand aneinander genäht, finden auf einem Colombine-Kostüm zueinander, dessen kokett schwingenden Rock zerknautschte Seidenrosen wie Konfettis zieren.

Ein Chinchillakragen veredelt eine schlappe Kaschmir-Jacke und belässt ihr dennoch das Flair vom Flohmarkt. Wie beiläufig begleitet sie ein schräg geschnittenes Abendkleid aus Chiffon mit Serpentinenrüschen. "Kalkulierter Zufall", nennt das der Designer und fügt sehr ernsthaft hinzu: "Talent ist niemals nur ein Geschenk. Es ist stets auch Verpflichtung."


(Der Standard/rondo/02/07/2004)