Asyldebatte: Im Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern um Kostenverteilung und Unterbringung droht ein Thema aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu geraten, das vielleicht die meiste Beachtung verdient: die Lage der minderjährigen Flüchtlinge.

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Im Jahr 2003 haben 2.049 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Österreich einen Asylantrag gestellt. Manche mögen ihre Minderjährigkeit vortäuschen, doch die meisten von ihnen sind Menschen unter 18 Jahren, die ohne jede Bezugsperson unterwegs sind und sich nach wochenlanger Flucht in einer völlig neuen Umgebung wieder finden. Vom Schlepper zumeist noch jenseits der österreichischen Grenze aus dem Auto geworfen, wissen sie oft nicht einmal, in welchem Land sie sich befinden. Keine Ansprechperson, keine Hilfe, kein Geld und keine Ahnung.

Weil diese Menschen besonders verwundbar sind, wurden Regeln erdacht, nach denen ihnen während des Asylverfahrens mehr Schutz geboten werden muss, als erwachsenen Asylsuchenden. Diese Regeln sind unter anderem in der UNO-Kinderrechtskonvention festgelegt, die unter anderem auch ein Diskriminierungsverbot von Flüchtlingskindern vorsehen. Das heißt, dass sie den gleichen Schutz erhalten müssen, wie österreichische Kinder, die von ihrer Familie getrennt und damit auf sich allein gestellt sind. Tatsächlich werden besonders jene, die bereits 14 Jahre alt sind, bei uns auf einem wesentlich niedrigeren Niveau betreut: Seit dem 1. Mai 2004 ist die so genannte 15a-Vereinbarung in Kraft, die Finanzierung und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern klärt.

Kernpunkt der Übereinkunft ist, dass die Länder nun für Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von Asylsuchenden verantwortlich sind und 40 Prozent der Kosten übernehmen, den Rest zahlt der Bund. Außerdem wurde die Höhe der Aufwendungen festgelegt: Für Kinder und Jugendliche sind drei Stufen der Betreuungsintensität vorgesehen, je nach Bedarf und Alter. Jüngere Kinder, vor allem jene unter 14 Jahren, erhalten 75 Euro. Das betrifft aber, wie Bund und Länder ebenfalls ausgemacht haben, nur fünf Prozent des Betroffenen, während 55 Prozent mit 37 Euro vorlieb nehmen müssen. Die übrigen 40 Prozent erhalten 60 Euro. Österreichische Jugendliche in einer vergleichbaren Lage haben nach Angaben von Heinz Fronek, Experte für Kinderflüchtlinge bei der NGO Asylkoordination "Anspruch auf eine bestimmte Qualität und Tagsätze, beginnend mit 100 Euro bis hinauf zu 200 Euro."

Gleicher Schutz ...

Der Grund für für diese krasse Diskriminierung liegt darin, dass die Asylsuchenden nicht vom Jugendamt betreut werden. Verliert ein einheimisches Kind seine Familie, versteht sich die Zuständigkeit dieser Behörde von selbst. Bei Asylanten wehren sich die Jugendämter hingegen standhaft, ihre gesetzlich vorgeschriebene Verantwortung zu übernehmen.

Die Vereinbarung regelt also lediglich die Kompetenz- und Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern. Die eigentliche Frage aber, ob nicht überhaupt die Jugendwohlfahrt erstverantwortlich ist, bleibt ungeklärt. Also: Sind die Betroffenen in erster Linie Kinder und Jugendliche, oder in erster Linie Flüchtlinge? Der Unterschied ist groß, denn ist ein Jugendlicher erst einmal in der Verantwortung des Jugendamtes, gibt es auch mehr Unterstützung in einer ohnehin schwierigen Situation. Gelöst wird diese Frage von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich. In Linz etwa leitet der Pflegschaftsrichter die Obsorgeverfahren automatisch ein. In anderen Bundesländern passiert das so gut wie gar nicht, oder nur in Einzelfällen.

Ist ein solches Verfahren einmal eingeleitet, dann wird die Obsorge auch meist dem Jugendamt übertragen. Üblicherweise erfahren die Gerichte aber gar nicht erst, dass ein Flüchtlingskind im Land ist.

... für alle!

Die 15a-Vereinbarung hat also nichts an der Zuständigkeitsfrage geändert. Doch nicht nur das. Auch hinsichtlich der Unterbringungssituation ist die Lage unverändert katastrophal. Nach Schätzungen der Asylkoordination (Verlässliche Zahlen sind nicht einmal aus dem Innenministerium zu erfahren!) befinden sich etwa 1.500 Kinderflüchtlinge in Österreich, für die es weniger als 500 geeignete Plätze gibt. Tatsache ist, dass allein in Wien weit über 100 jugendliche Asylanten obdachlos sind.

Doch um dieses Problem ist es ruhig geworden. Waren in der Weihnachtszeit die Medien voll mit Meldungen über Flüchtlinge, die auf der Straße stehen, spricht seit In-Kraft-Treten der 15a-Vereinbarung kaum mehr jemand darüber. Die Obdachlosen sind aber nicht weniger geworden.

Der eklatante Unterschied in der finanziellen Unterstützung von österreichischen Kindern und solchen, die zu uns geflohen sind, sowie die katastrophale Unterbringungssituation lassen den Schluss zu, dass der Schutz, der Kinderflüchtlingen geboten wird, in krassem Widerspruch zum genannten Diskriminierungsverbot steht. Er ist weder gleich noch gleichwertig. Da es niemandem zu wünschen ist, dass das soziale Netz der einen abgebaut wird, um die Gleichheit zu erreichen, bleibt wohl nur eine mögliche Lösung: Das Netz der anderen zu stärken, indem sie in die Betreuung der Jugendwohlfahrt eingebunden werden. Es macht nämlich keinen Unterschied, ob ein fremdes oder ein österreichisches Kind allein dasteht. Ihre Hilfsbedürftigkeit ist in beiden Fällen größer, als es sich viele Erwachsene vorstellen können. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2004)