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Bevor Niki de Saint Phalle begann, aus Polyesterharz ihre heute populären "Nanas" zu gießen, war eine Reihe von symbolischen Tötungsakten zu erledigen: "Ich schoss gegen Daddy, gegen alle Männer, gegen die Gesellschaft, gegen mich selbst": Szenenfoto aus dem Film "Daddy" von 1972.

Foto: APA/VBK Wien,2004 / Die Schenkung Niki de Saint Phalle , Sprengel Museum Hannover
Das Frühwerk steht leider meist im Schatten der so populären wie üppigen Urmütter aus Polyesterharz.


Wien - Am 12. Februar 1961 hatte der Pariser Kunstkritiker Pierre Restany unglaubliches Glück: Er durfte ein Kunstwerk erschießen. Catherine Marie-Agnès de Saint Phalle, die sich Niki nannte, drückte ihm ein geladenes Gewehr in die Hand und wies ihm ein Gipsrelief als Ziel. Restany schoss, traf, und prompt begann das weidwunde Werk final auszubluten.

Niki hatte den Gips mit Farbbeuteln gespickt, den Kritiker damit zum Komplizen, zum Mitschöpfer gemacht. Restany war angetan von der "Gewalttätigkeit des schöpferischen Aktes", publizierte einen Fotobeweis seiner Tat im zweiten Manifest der Nouveaux Réalistes - einer Künstlergruppe, der angehörte, wen Restany auserwählte.

Und somit war auch Niki de Saint Phalle deren Mitglied - und PR-Maschine. Medial ließ sich das ehemalige Model aus ältestem französischem Adelsgeschlecht bestens vermarkten. Noch bevor Diana Rigg als Emma Peel in Schirm Scharm und Melone auf verdächtige Subjekte anlegte, hatte Niki de Saint Phalle auf all die Typen geschossen, die ihr übel mitgespielt hatten.

"Ich schoss auf: Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, meinen Bruder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine Mutter, auf mich selbst." Sie feuerte (oder ließ feuern) auf Porträts ihrer Liebhaber, Gipsköpfe diverser Staatsoberhäupter und sonstiger Monster, nahm symbolisch Rache an ihrem Vater, der sie als Kind vergewaltigt hatte, an den Erziehern, die sich im streng katholischen Sinn in einem amerikanischen Kloster eine Kindheit lang an ihr vergingen, an den Ärzten, die mit Elektroschocks und Psychopharmaka einen Zusammenbruch auszutreiben versuchten.

Niki de Saint Phalle erfand sich ihre Kunst als Therapie, schoss, malte und collagierte sich frei. Und kam dabei auf die Nanas, ihre Urmütter, ihre Vorbotinnen eines ersehnten matriachalischen Zeitalters. Deren größte sollte sie - gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Jean Tinguely - 1966 für das Moderna Museet in Stockholm realisieren: die Figur Hon - en cathedral (Sie - eine Kathedrale) - eine Lustgrotte mit Bar, Aquarium, Kino, Planetarium, Galerie und Bücherei, deren Portal eine klaffende Vagina bildet.

Das Kunsthaus Wien zeigt 90 Arbeiten aus der Sammlung des Sprengel Museums Hannover. Sabine Schmeller hat eine dichte Auswahl aus dem Frühwerk Saint Phalles getroffen, damit die Möglichkeit aufgetan, eine dezitiert autobiografische Arbeit nachzuvollziehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.6.2004)