Zum zweiten Mal haben die USA unter der Führung des Republikaners George W. Bush in der für sie alles entscheidenden Frage der Souveränität eine Niederlage im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erlitten.

Die erste, im März 2003, besiegelte Washingtons Bruch mit dem "alten Europa" am Vorabend des Irakkriegs. Ohne ausdrückliche Zustimmung der UNO begann die US-Armee ihren Angriff auf Bagdad. Die zweite Niederlage in dieser Woche ist fataler für die amerikanische Regierung.

Mehr als ein Jahr nach dem Irakkrieg - dem Höhepunkt selbst gewählter Machtentfaltung der Regierung Bush - haben die USA weitere Bundesgenossen verloren, statt alte zurückzugewinnen: Spanien, das im Juni 2003 im Sicherheitsrat ohne Zögern für eine Verlängerung der Straffreiheit amerikanischer Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof gestimmt, nun aber seine Enthaltung angekündigt hatte, war nur ein Beispiel dafür.

Wie im Frühjahr 2003 zog Washington auch dieses Mal einen Resolutionsentwurf zurück, weil die nötigen neun Ja- stimmen zur Annahme der Straffreiheitsklausel unerreichbar waren. Die Niederlage scheint auf den ersten Blick nicht wirklich schlimm.

Die Chancen für eine Strafverfolgung amerikanischer Soldaten, die im Irak oder anderswo auf der Welt Dienst tun und sich dabei eines besonders schweren Vergehens schuldig machen, sind nicht groß: Washington hat Vorsorge getroffen und mit bereits 90 Staaten eine Abmachung getroffen, derzufolge keine US-Soldaten an den internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden.

Ähnlich wird dies im Irak noch vor der "Machtübergabe" am 30. Juni geregelt. Der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer könnte per Federstrich die "Order 17" verlängern - sie gewährt allem ausländischen Personal, das für die Verwaltungsbehörde der Besatzungstruppen arbeitet, Immunität vor der Strafverfolgung durch die örtlichen Gerichte.

Dem internationalen Strafgerichtshof ist der Irak ohnehin nicht beigetreten. Auch das Risiko eines Verfahrens gegen amerikanische Blauhelmsoldaten ist überschaubar. Derzeit sind nur rund 530 US-Soldaten an Friedensmissionen der UNO beteiligt.

Der jüngste Schiffbruch der USA im Sicherheitsrat signalisiert gleichwohl eine Trendwende. Zum Ende von Bushs erster Amtszeit schlägt das Pendel zurück. Der Katalog der unilateralen Entscheidungen seit dem Antritt des Republikaners im Jänner 2001 hat sich erschöpft: Die Absage an das Klimaprotokoll von Kioto und den Strafgerichtshof, die Aufkündigung des ABM-Vertrags mit Russland und die Blockade des UN-Protokolls zur Kontrolle biologischer Waffen, dann der Irakkrieg.

Anders als vor dem Feldzug gegen Bagdad sucht die US-Diplomatie bekanntlich jetzt die Unterstützung der UNO und ihrer Mitgliedstaaten und legt Resolution um Resolution vor - zur Organisation des Wiederaufbaus im Land, zur Entsendung einer UN-Truppe in den Irak, für die politische Basis der neuen Übergangsregierung in Bagdad.

Washington ist an die Grenzen seiner Souveränität gestoßen. Nur logisch ist, dass sich nicht nur die Bush-Kritiker in den USA nun fragen, ob überhaupt mit Washingtons Verständnis von staatlicher Souveränität etwas nicht stimmt.

Souveränität ist eine Idee aus dem Europa der Neuzeit, 400 Jahre alt und erklärtermaßen undemokratisch: "Souveräne Hoheit und absolute Macht", so schrieb seinerzeit der Franzose Jean Bodin, "heißt, den Untertanen Gesetze zu geben ohne ihre Zustimmung."

Eine Supermacht wie die USA, die militärisch souverän - also ohne Zustimmung anderer Staaten - schalten und walten kann, ist ein Faktum, das man mögen kann oder nicht. Anders ist es, wenn sich die Supermacht durch ihr Handeln angreifbar macht. Der Folterskandal im Irak und die Rechtfertigung des Krieges haben die Idee der amerikanischen Souveränität beschädigt. Bush hat dies gerade im Sicherheitsrat erfahren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.6.2004)