News entdeckte beim Sommerfest des SPÖ-Vorsitzenden (vormals "Kanzler-Fest") eine "euphorische Aufbruchsstimmung".

Mein Eindruck war eher, dass der politische Smalltalk bei diesem an sich netten Fest von der Frage dominiert war, warum die SPÖ und ihr Vorsitzender Alfred Gusenbauer nicht mehr aus der sensationellen Vorgabe machen, die die angeschlagene Regierung bietet.

Gusenbauer sagte zwar tags darauf, die "Regierung sei stehend tot" (etwas weniger brutal heißt es im Boxerjargon "stehend k. o."), aber er fügte hinzu: "Wir sind tolerant und geben der Regierung die Chance, sich über den Sommer zu sammeln."

Im deutschsprachigen Raum muss man ja immer dazusagen, dass man es ironisch meint, wenn man es ironisch meint. In diesem Fall wäre es besonders angebracht, denn man könnte leicht glauben, dass Gusenbauer der Regierung wirklich eine Verschnaufpause geben will – so wenig angriffslustig hat er sich trotz des unglaublichen Pallawatsch gezeigt, den Schwarz-Blau derart darstellt.

Das hätte sich die rot- schwarze große Koalition leisten sollen, dass die eine Hälfte der Regierung von internen Krämpfen und einem Richtungsstreit – Sollen wir überhaupt mitregieren? – geschüttelt wird und dass der Kanzler und ÖVP- Obmann einem Absprung nach Brüssel nicht abgeneigt wäre. Oder sie hätte sich eine solche Verhöhnung der politischen Kultur leisten sollen wie die Absprache um den Rechnungshofpräsidenten.

Gusenbauer scheint sich einer Strategie verschrieben zu haben, die da lautet: Regierungen werden nicht von der Opposition gestürzt (solange sie eine Parlamentsmehrheit haben), sondern sie werden von unzufriedenen Bürgern abgewählt; daher warten wir in Ruhe darauf, bis sich die schwarz-blaue Koalition selbst zerstört. Das war allerdings die Strategie schon vor knapp zwei Jahren, als die FPÖ nach einem Sommer voll von Haider-Sagern ihr Knittelfeld erlebte und Schüssel kaltblütig auf Neuwahlen setzte.

Auch damals setzte Gusenbauer, (schlecht) beraten von einem amerikanischen Experten, auf einen nicht konfrontativen Wahlkampf – mit dem Ergebnis, dass Schüssel praktisch alle davongelaufenen FP-Wähler einkassierte und die ÖVP mit 43 Prozent zur stärksten Partei machte.

Auch jetzt ist nicht recht ersichtlich, was Gusenbauers Zurückhaltung bringen soll. Die Österreicher haben zwar die Nase voll von Schwarz-Blau, aber Schüssel hat noch immer recht gute Werte, weil ihn die Leute als Führungspersönlichkeit betrachten.

Die Realität – nämlich dass er mit seinem Konzept, die FPÖ regierungsfähig zu machen, offenkundig gescheitert ist – wird von einer Mehrheit der Bürger so nicht gesehen. Wolfgang Schüssel strahlt Führungskompetenz aus.

Ob dann sein Herausforderer gut daran tut, eher schaumgebremst zu agieren und so implizit den Herrschaftsanspruch von Schüssel zu akzeptieren, ist die Frage. Alfred Gusenbauer ist in der SPÖ ziemlich allein und wird oft unfair behandelt. Aber umso eher muss er Initiative und Präsenz – und politische Angriffslust – zeigen. Gusenbauer tritt beinahe zu zurückhaltend und "staatsmännisch" auf.

Wenn er sagt, die Regierung möge sich am Riemen reißen oder den Weg für eine Neuordnung frei machen, dann ist Teil eins dieser Ansage vom Standpunkt einer großen Oppositionspartei überflüssig. Eine Opposition hat zu fordern, die Regierung möge den Weg frei machen – Punkt. Es sei denn, die Opposition will signalisieren, die Regierung sei eh nicht so schlecht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.6.2004)