Joaquín Almunia wurde mehr als deutlich: "Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass die Regeln zu streng sind und den Spielraum reduzieren." So begründete der EU-Währungskommissar am Donnerstag in Brüssel, warum der Stabilitätspakt dringend reformiert gehöre. Denn die bisherigen Regeln hätten "Mängel" gezeigt.

Almunias Vorschläge, die am Donnerstag in der EU- Kommission diskutiert wurden, zielen auf einen flexibleren Stabilitätspakt, der im Kampf gegen die Wirtschaftskrise helfen soll:

Die individuelle Situation soll stärker berücksichtigt werden. Staaten in "dauerhaften Abschwungphasen" sollen mehr Zeit als das bisher vorgesehene Jahr erhalten, ihre Defizite abzubauen. Das würde unter anderem den Dauerdefizitsündern Frankreich und Deutschland helfen.

Prinzipiell will Almunia weiter das Instrument Sanktionen gegen Defizitvergehen anwenden – allerdings ebenfalls "flexibler" als bisher.

Dieser Milde auf der einen steht mehr Härte auf der anderen Seite gegenüber: Auch Verstöße gegen die "Grundzüge der Wirtschaftspolitik" sollen künftig geahndet werden. Mit Frühwarnungen sollen die Staaten zurechtgewiesen werden, die sich bei Pensions- oder Arbeitsmarktreformen zu viel Zeit lassen. In diese er^weiterten Haushaltskontrollen will der Währungskommissar auch die nationalen Parlamente stärker einbinden.

Weiters sollen Anreize für Länder geschaffen werden, die in Boomzeiten ihre Haushalte konsolidieren. Staaten mit hohen Schulden sollen strengere Auflagen bekommen.

Konkreter sind Almunias Reformideen vorerst nicht – sollen sie doch erst von der neuen EU-Kommission, die im November antritt, beschlossen werden. Zudem wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes abgewartet. Er muss entscheiden, ob die EU-Finanzminister im November 2003 das Recht hat-‑ ten, die Defizitstrafverfah-‑ ren gegen Frankreich und Deutschland auf Eis zu legen. Die Kommission hatte anderes empfohlen und geklagt.

Rüge für Griechen

Schon allein wegen dieser Rechtsunsicherheit hält Almunia den Stabilitätspakt für reformbedürftig. Zudem haben immer mehr Staaten massive Probleme, das maximale Defizit von drei Prozent einzuhalten. Am Donnerstag hat die EU-Kommission auch Griechenland an den Defizit-Pranger gestellt. Es sei "Besorgnis erregend", dass trotz hohen Wirtschaftswachstums (4,2 Prozent) das Defizit heuer 3,2 Prozent betragen werde. Griechenland droht nun ein Warnbrief und ein Verfahren – als viertem Land nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Zudem stehen Großbritannien, Italien und Portugal im Visier der Brüsseler Defizitwächter.

EU-weit ist das Defizit von 2,3 auf 2,7 Prozent im Jahr 2003 gestiegen und soll auch 2004 den gleichen Wert erreichen, heißt es im Bericht der Kommission vom Donnerstag. Für diese Defizitsteigerung sind auch die neuen Mitgliedsstaaten verantwortlich – Polen, Tschechien, Malta, Ungarn, die Slowakei und Zypern sollen wegen zu hoher Defizite Warnbriefe erhalten. (Eva Linsinger aus Brüssel, Der Standard, Printausgabe, 25.06.2004)