Al Jarreau: "Die Hits, die ich hatte, waren wichtig, um in dieser Industrie am Leben zu bleiben. Weil ich sie hatte, bin ich noch hier - Gott sei Dank!"

Foto: Universal
Mit seiner neuesten CD "Accentuate The Positive" widmet sich Al Jarreau endlich wieder seinen jazzigen Wurzeln. Teile dieses Repertoires wird man auch bei seinem Auftritt im Rahmen des kommenden Jazzfestes Wien in der Staatsoper hören können. Ein Gespräch mit Ljubisa Tosic.


Wien - Zuweilen reichen Worte eben nicht mehr aus, um sich mitzuteilen. Und so beginnt Al Jarreau trotz Verkühlung singend Fragen zu beantworten. So kommt man in den Genuss seiner ziemlich einzigartigen rhythmisch-melodischen Kunst, die einst im Jazzgesang Maßstäbe setzte und die tatsächlich allerlei Fragen beantwortet. Bis auf eine: Warum einer mit diesen Möglichkeiten vor Jahren begann, in kaufhauskompatible Popwelten einzutauchen.

Das ergab ja Jazz für Leute, die keinen Jazz hören, Pop für Leute, die keinen Pop hören. Das war ein kompromissbeladenes Mainstream-Irgendwas, in dem sich Al Jarreau zum Sänger ohne Eigenschaften und gleichsam zum akustischen Begleiter häuslicher Tätigkeiten mutierte. Natürlich: Zwischendurch blitzte auf, was ihn ausmachte. Eine rhythmische Verspieltheit, die Schlagzeuge überflüssig macht. Ein Scatgesang, der einstige Bebop-Hitze ausstrahlte - verziert durch jene typische Jarreau-Klangfarbenmalerei.

Doch einst, was waren das doch für Zeiten! Damals, als er "Glow" einspielte, mit "Your Song" von Elton John. Man muss hören, zu welcher Tiefe der Interpretation da einer vordringt, um zu ermessen, welchen Preis Jarreau, der auf hohem Niveau mühelos zwischen Jazz, Rhythm & Blues, Gospel und Funk hüpfen konnte, später gerne gezahlt hat, um ein breites Publikum zu beglücken.

Jarreau selbst ist ob dieser Diagnose nicht böse. "Sie haben also einiges von meinen Popsachen nicht gemocht? Das ist okay! Was kann ich sagen, so ist das Leben. Die Hits, die ich hatte, waren wichtig, um in dieser Industrie am Leben zu bleiben. Und auch weil ich sie hatte, bin ich noch hier - Gott sei Dank! Mögen Sie zumindest die Sachen auf der neuen CD?"

Die Neubefragung

Geht so. Auf "Accentuate The Positive" greift er wieder teilweise auf jenes Repertoire des Great American Songbook zurück, das seinen Möglichkeiten Raum bietet. Zwar ist es auch hier großteils eingepackt in banalisierende Weichspüler-Arrangements. Aber da sind auch Ausnahmen. Soulige Unmittelbarkeit da, virtuose Bebop-Neubefragung dort. Immerhin. Jarreau versteht die Einspielung auch als eine Möglichkeit, auf historische Größen zu verweisen. Wenn er Instrumentalstücken neue Texte unterlegt, so sind diese auch als Wortdenkmäler zu verstehen - für Eddy Harris oder Betty Carter.

"Die alten Standards sind gute Freunde, ich kenne sie besser als die eigenen Songs. In ihnen als Interpret noch etwas Eigenes zu finden ist schwer. Wer braucht schon eine neue schlechte Version von "How High The Moon?" Eigentlich rede ich schon seit zwanzig Jahren von dem Projekt. Jetzt passte alles zusammen."

Blickt man zurück in jene Zeit, da Jarreau, Pfarrerssohn aus Milwaukee, seinen Stil zu entwickeln begann, fällt auf, dass da auch Umwege waren, die man nicht vermuten würde. Jarreau war Nebenerwerbssänger, gastierte am Wochenende in Clubs in Los Angeles; unter der Woche arbeitete er jedoch im Spital als Rehabilitationshelfer. Sicher, das Trio Lambert, Hendricks & Ross und Ella Fitzgerald dienten zum Erlernen der Basics. Aber ein eigener Stil war das noch nicht. Dazu bedurfte es noch der Latin-Welt.

"Erst als ich Sergio Mendes und Antonio Carlos Jobim hörte, als sie die ganzen Percussionisten brachten, klingelte es bei mir. Ich musste das ausprobieren. Im Auto, unter der Dusche. Aber mein Stil entwickelte sich erst sehr langsam - auch mithilfe von George Duke, mit dem ich in Clubs spielte," erzählt Jarreau und singt wieder ein bisschen.

Er ist mittlerweile 64. Noch genug Zeit also, einmal ein wirklich tiefes Album einzuspielen. Seiner Philosophie entsprechend wollen wir insofern einmal das Positiv-Hoffnungsvolle akzentuieren: "Du musst so denken, sonst stehst du in der Früh nicht auf." (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2004)