Der Verfassungsgerichtshof urteilt über das neue Asylgesetz, Dienstag wurde erstmals öffentlich verhandelt. Das höchste heimische Gericht muss über insgesamt drei Klagen aus Wien und Oberösterreich entscheiden – in kargem Ambiente und mit emotionalen Einsprengseln. Von Irene Brickner
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Wien – Asylwerber befinden sich keine im Raum, in dem es um die gesetzlichen Regeln ihrer Behandlung geht. Dafür drängen jede Menge Stellvertreter – Flüchtlingshelfer, NGO-Vertreter, Politiker, parlamentarische Mitarbeiter und viele, viele Juristen – in die engen Sesselreihen und zwischen den hohen Flügeltüren des großen Verhandlungssaales am Wiener Verfassungsgerichtshof (VfGH).

Dessen Wände sind ungewohnt karg: Der große, dunkelfarbige Wandteppich – sonst Fotohintergrund für die 15 verhandelnden Verfassungshüter – befindet sich zur Restaurierung im Kunsthistorischen Museum.

Karg sind auch die Äußerungen der Klagsparteien, die einem von VfGH vorgelegten Fragenkatalog von neun Punkten und 60 Einzelfragen folgen: In knappen Worten werfen sie einander Paragrafen-, Absatz- und Ziffernzahlen zu. Ohne Verständnisverluste; die ausgefeilte Juristenmeinung stehen im jeweiligen Schriftsatz.

Doch dann wird es auf einmal konkret: Die Befragung ist bei der umstrittenen, vom neuen Asylgesetz eröffneten Möglichkeit angelangt, Flüchtlinge trotz laufenden Asylverfahrens in einen so genannte Sicheren Drittstaat rückzuschieben: Ein Flüchtling könne seine Rechte ebenso von Tschechien, Ungarn oder der Slowakei aus geltend machen, bringt – links im Saal – der Vertreter des Bundes vor. Asyl-"Umlaufbahn"

Damit sät er Unmut auf der Saalrechten: "So katapultieren Sie Flüchtlinge in die Umlaufbahn!", kontert Rechtsanwalt Georg Bürstmayer als Vertreter des Landes Wien, das neben dem Land Oberösterreich und dem Unabhängigen Bundesasylsenat (Ubas) Klage gegen das Asylgesetz eingebracht hat. Als Mitglied des Netzwerks Asylanwalt vertrete er tschetschenische Asylwerber, die im Frühjahr bei Gmünd rückgewiesen wurden, schildert er alsdann in freier Rede. Die Tschetschenen seien jetzt gezwungen, in Tschechien zu leben.

Zudem, so der Anwalt, hätten sie derzeit keine Chance auf legale Einreise nach Österreich, um vor den Asylbehörden Stellung zu beziehen: "Das ist doch kein fair trial", bringt Bürstmayer ins Treffen.

Bei den hohen Verfassungshütern erntet er damit interessiertes Schweigen: Die elf Richter und vier Richterinnen haben angekündigt, sich nach dem Austausch der Argumente über den Sommer eine Rechtsmeinung zu bilden. Sie brauchen die Zeit, weil der Prüfungsauftrag einer der umfangreichsten ist, der zu einem einzigen Gesetz jemals an den VfGH herangetragen wurde.

Der umfangreichste, über den je öffentlich verhandelt worden ist. Wobei die freie Sicht aufs Publikum den Verfassungsjuristen vielleicht wichtige atmosphärische Einblicke ermöglichte. Etwa auf das Zusammenzucken des Amnesty-International-Generalsekretärs für Österreich, Heinz Patzelt, als der Vertreter des Bundes das strenge Gesetz verteidigte – und ihm alsdann die Möglichkeit einer "humanitären Auslegung" entgegen stellte.

Am Mittwoch wird weiterverhandelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.6.2004)