Die Debatte um Stimmgewichtung

Diesmal, im zweiten Anlauf, soll es mit der Verfassung klappen: Diesen festen Vorsatz betonten die 25 Staatschefs zu Beginn des Gipfels in Brüssel. Der Wille war da, bei Details wurde es schwierig. Etwa wieder bei der Suche nach dem Stimmgewichtungs-Kompromiss. Ein Zugeständnis hier, ein Kompromiss dort: Mit kleineren und größeren Aufweichungen der Verfassung versuchte die irische Präsidentschaft beim EU-Gipfel in Brüssel, im zweiten Anlauf eine Einigung über die Verfassung zustande zu bringen.

So konnte Großbritannien viele seiner "red lines" durchbringen. Der durch den Wahlsieg der Euroskeptiker zusätzlich unter Druck geratene britische Premier Tony Blair leistete im Vorfeld hartnäckigen Widerstand dagegen, dass künftig mit Mehrheit (und nicht mehr einstimmig) auch über Außen-, Steuer- und Finanzpolitik entschieden werden könne. Nun kann Großbritannien sein Vetorecht in der Steuerpolitik behalten, außerdem wird die Entscheidungsmacht des Europäischen Gerichtshofs über die Rechte britischer Staatsbürger begrenzt.

Streitfall "Stabi"-Pakt

Mit einem Kompromiss wurde auch der Streit um die Regelungen des Stabilitätspakts entschärft. Zuerst war geplant, dass die EU-Kommission Verfahren über Defizitsünder verhängen darf. Nur mit einstimmiger Mehrheit, so war es im Verfassungsentwurf vorgesehen, sollten die Finanzminister Korrekturen durchsetzen können.

Dagegen hatten unter anderem die chronischen Defizitsünder Frankreich und Deutschland protestiert. Der Kompromiss: Die Finanzminister können Forderungen der EU-Kommission an Länder mit zu hohen Budgetdefiziten ändern, allerdings mit qualifizierter Mehrheit. Die Feststellung der Kommission, dass ein Land die Drei-Prozent-Defizit-Quote überschritten hat, kann allerdings weiterhin nur einstimmig von den Ministern geändert werden, was die Führungsrolle der Kommission in dieser Frage hervorhebt. Für das Verfahren kann die Kommission nur "Empfehlungen" machen.

Während in diesen bisherigen Streitpunkten eine Einigung in der Zielgeraden schien, hakte es erneut in der heiklen Frage der Suche nach der Mehrheit, die künftig Beschlüsse fasst. Ursprünglich wurde für diese so genannte doppelte Mehrheit vorgeschlagen, dass 50 Prozent der Staaten, die 60 Prozent der Bevölkerung vertreten, zustimmen müssen. Diesen Schlüssel hatten Spanien und Polen beim gescheiterten Verfassungsgipfel im vorigen Dezember aber abgelehnt.

Der neue Vorschlag sieht nun eine leichte Anhebung auf 55 Prozent der Staaten und 65 Prozent der Bevölkerung vor. Damit werden Blockaden von Beschlüssen leichter.

Daher hat Irland eine Zusatzklausel vorgeschlagen, wonach sich mindestens vier Länder zu einer Blockademehrheit zusammenschließen müssen. Finnland reicht das allerdings nicht: Es will, dass ein geringerer Prozentsatz der Bevölkerung für eine Entscheidung reicht, was kleine Länder besser stellen würde. Wird diese Forderung nicht erfüllt, will Finnland der Verkleinerung der Kommission nicht zustimmen. Womit am Gipfel ein langwieriges Tauziehen so gut wie fix scheint. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2004)