Wiedersehen unter den Brücken der Seine: Julie Delpy und Ethan Hawke rekapitulieren in Richard Linklaters Sequel "Before Sunset" die Jahre seit ihrem ersten Zusammentreffen.

Foto: Warner

... – diesmal in Paris.

Wien – Boy meets girl. Vor neun Jahren trafen sie sich im Zug Richtung Wien das erste Mal: Jenny (Julie Delpy), die Französin, und Jesse (Ethan Hawke), der Amerikaner. Über hundert Minuten flanierten sie durch die Stadt, an manch bekannten Gesichtern vorbei, und redeten über alles, was ihnen so in den Sinn kam. Am Ende hatten sie vielleicht sogar Sex in einem Park. Sie trennten sich am Morgen und verabredeten sich am Bahnsteig, ein halbes Jahr später.

Richard Linklaters Before Sunrise war das Porträt zweier Mittzwanziger an einem konkreten Ort zu einer bestimmten Zeit. Man konnte sich in diesem wiederfinden oder die dahinmäandernden Gespräche – ein Charakteristikum aller Linklater-Filme – auch ermüdend finden. Man konnte sich über den schwärmerischen Blick auf das vertraute Wien wundern oder auch freuen. Jedenfalls war es ein Film der Möglichkeiten, über die Freiheit der Wahl.

Before Sunset, das Sequel, kommt für alle Romantiker achteinhalb Jahre zu spät. Der Film setzt nunmehr dem nächtlichen Wien einen kurzen Tag in Paris entgegen. Jesse ist zu einer Lesung seines Buches in die Stadt gekommen – ein Umstand, der ihn mit Hawke, mittlerweile auch selbst Schriftsteller, verbindet. Und es erzählt natürlich von einer Begegnung in Wien, mit ungewissem Ausgang.

Eine Zuhörerin, die mehr weiß als die anderen, ist Jenny. Sie kennt die Grundlage der Fiktion. In der Buchhandlung begegnen sich die beiden nun das erste Mal wieder. Damals, erfahren wir später, stand nämlich nur Jesse am Bahngleis. Erneut brechen sie gemeinsam auf, und wieder diktiert das Gespräch den Verlauf der Erzählung, die Linklater quasi in Realzeit dokumentiert.

Rätselhafter

Alles ist diesmal anders als in Wien – und auch wieder nicht. Denn in Before Sunset treffen zwei gereiftere Menschen aufeinander, die um einige Erfahrungen und Entscheidungen älter geworden sind, sich aber auch viel bewahrt haben von ihrer Bereitschaft, sich dem Moment hinzugeben. Dabei ist es schön zu beobachten, dass Delpy und Hawke, die das Drehbuch mitverfasst haben, diese Jahre anzusehen sind: sodass sie jetzt auch schwierigere, tiefere, rätselhaftere Figuren sind.

Am Anfang herrscht noch Unsicherheit, vermittelt durch vorsichtige, ein wenig hölzerne Dialoge, dann scheint das Fremde am anderen allmählich zu erlöschen, und mit der Vergegenwärtigung des Vergangenen, die stets ein wenig ironisch bleibt, kommen Geständnisse und die Erkenntnis, dass man mit einigem falsch lag. Dass er jetzt verheiratet und Vater ist, aber nicht glücklich. Und dass sie, die Umweltaktivistin, die Songs schreibt, sich immer noch die gleichen Gedanken macht, aber schon längst nicht mehr danach lebt.

Man kann die Dinge, die hier zur Verhandlung stehen, vermutlich auch ganz banal nennen, eigentlich berühren sie aber die ganze Existenz. Diese 90 Minuten zu Fuß durch Paris, von Saint Germain bis zur Fahrt über die Seine, sind ungemein nuancenreich, licht und schwermütig zugleich. Dabei ist das Kino, das Linklater mit Before Sunset herauf beschwört, ganz schlicht: eine Kamera, die sich an zwei Personen heftet, über denen immer noch die bange Frage schwebt, ob sie füreinander bestimmt sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2004)